Bau- und Stadtentwicklung | Wirtschaft
Offener Brief an das Aktionsbündnis Innenstadt
Das Zentrum einer lebendigen Stadt: Die City und ihr Weg aus der Krise
Am Ende des abgelaufenen Jahres veröffentlichte ein Bündnis, dem u.a. die bremischen Kammern, mehrere Investor*innengruppen und Akteur*innen aus der hiesigen Stadtentwicklungsszene angehören, ein Papier mit „Forderungen zur Entwicklung der Innenstadt“. Der Aufschlag des Aktionsbündnisses zielt aufs Ganze und spart nicht mit Kritik an Senat und Regierungskoalition. Die beeindruckende Liste der Unterzeichner*innen unterstreicht den Anspruch. Eine Antwort kann sich um die Auseinandersetzung mit dieser Kritik nicht drücken. Im besten Fall löst das Aktionsbündnis einen sehr ernsthaften, ergebnisorientierten und verantwortungsvollen Diskurs über die Innenstadt und ihre Zukunft aus. Als Grüne wollen wir mit den nachstehenden Überlegungen unseren Beitrag dazu leisten.
I. „Die Innenstadt“: Krisen im Kern, Potenziale in den umliegenden Quartieren
Worüber reden wir, wenn wir „Innenstadt“ sagen? Aus unserer Sicht ist es sinnvoll, die Diskussion über die City zwischen Wall und Weser mit einer Betrachtung der umliegenden Quartiere zu verknüpfen. Die erweiterte Innenstadt liegt auf beiden Seiten des Flusses. Sie umfasst also auch die alte Neustadt mit der Hochschule und großen gewerblichen Unternehmen. Sie greift nach Osten aus und bezieht das Viertel mit ein. Im Norden reicht sie bis an den Bahnhof und nach Westen berührt sie die Überseestadt. In der Zusammenschau lassen sich die Prozesse, die die Innenstadt umwälzen, besser verstehen und wesentliche Ansatzpunkte für Auswege aus der Krise finden.
Raum der Umbrüche: Langfristiger Strukturwandel und Corona-Krise greifen ineinander
Dieses Stück Stadt ist mit all seinen Nutzungen in den letzten 70 Jahren nach den Zerstörungen des Krieges geschaffen worden. Große Teile werden von der Nachkriegsmoderne geprägt. Der aktuelle Strukturwandel in diesem Raum ist vielfältig:
Der Strukturwandel der erweiterten Innenstadt ist nach wie vor von der Konversion von Gewerbe- und Bahngrundstücken und der Wohnungskonjunktur getrieben (u.a. Busbahnhof, Bundeswehrhoch- haus, Güldenhausquartier, Mondelez oder Hachez). Gleichzeitig gerät
der Kern der Innenstadt in eine schwierige Lage. Der Handel befindet sich zugleich in einem tiefen strukturellen Umbruch (Online-Handel/Veränderung der Lebens- und Konsumstile) und in einer akuten Krise (Corona). Neuvermietung von Handelsflächen wird immer schwieriger, Leerstand greift um sich. Der vom Einzelhandel dominierte Raum zwischen Sögestraße, Obernstraße, Knochenhauerstraße und Hanseatenhof konnte lange eine hohe Besucher*innenfrequenz mobilisieren und trotz aller Konkurrenz Kaufkraft aus der ganzen Stadt und dem Umland binden. Diese Kraft geht dem Handel im Rahmen der Neuverteilung von Marktanteilen verloren. Wir halten diesen Prozess in der Grundrichtung für irreversibel.
Bestimmte Geschäftsmodelle werden durch die Digitalisierung gründlich umgewälzt und verlassen die Bremer City. Insbesondere die Finanzwirtschaft, mit Sparkasse, Nord LB, Commerzbank: Die modernen Bürohäuser stehen heute in der Überseestadt und an der Uni und in der Airport City. Die Nachfrage nach Büroflächen wird aktuell durch die coronabedingte Konjunktur von Homeoffice, mobiler Arbeit und Co-Working beeinflusst, was kurz- und mittelfristig weitere Unsicherheiten schafft. Zudem darbt der Tourismus, so dass die Expansion der Hotelwirtschaft auch an ihr Ende gekommen sein dürfte.
Mismatch zwischen alten Gehäusen und neuen Nutzungen: Es droht eine Immobilienkrise
Die Gebäude, der öffentliche Raum und die verkehrliche Infrastruktur der City wurden für genau diesen vom Einzelhandel dominierten Nutzungstyp hergerichtet. Die Eigentümer*innen der Gebäude kalkulierten bislang mit entsprechenden Mieten. Allerdings sind diese Mieten in neuen Verträgen nicht mehr durchzusetzen. Insolvenzen grassieren. Die „Drittverwendungsfähigkeit“ der Büro- und Geschäftshäuser im augenblicklichen Markt ist kaum herzustellen. Die damit verbundenen Risiken sind hoch. Für jeden Neubau, der nicht auf Bestellung errichtet wird, gilt das erst recht.
Die bisherigen Nutzungen und Geschäftsmodelle tragen nicht mehr und die neuen Nutzungen und Geschäftsmodelle passen womöglich nicht in die „alten Gehäuse“ – der City droht im Gefolge der Einzelhandelskrise eine Immobilienkrise. So könnte es zu einer langandauernden Störung ihrer Entwicklungsfähigkeit kommen.
II. Ein Entwicklungsbündnis für Bremen: Öffentliche Hand und private Akteure*innen müssen ihre Kräfte bündeln
Weil die Herausforderung so elementar ist und weil die City für die Stadt als Ganzes eine so große Bedeutung hat, braucht es eine besondere und auf einen langen Zeitraum angelegte Anstrengung der Stadtgesellschaft, der Wirtschaft und der öffentlichen Hand. Der Markt und die Unternehmen allein können die Herausforderung nicht meistern. In diesem Punkt sind wir uns mit dem Aktionsbündnis einig. Wir sollten also darüber sprechen, was die Stadt leisten kann, was die Stadt ermöglichen kann und wo Interventionen des Staates in den Markt kontraproduktiv werden.
Aktionsprogramm Innenstadt ist nur ein erster Schritt
Sobald es die Pandemie zulässt, versuchen wir alles, um wieder viele Menschen in die City zu locken. Im Rahmen des Aktionsprogramms Innenstadt bitten wir Unternehmer*innen und Künstler*innen, dabei zu helfen, und wir ermutigen zur Gründung (temporärer) Geschäfte. Wir hoffen sehr, dass sich weiter kluge Vermieter*innen finden werden, die in den Aufbau eines Gründungsmilieus in der City investieren, in dem sie die Mieten senken. Zudem erfolgt mit der geplanten Neugestaltung der Martinistraße die überfällige Verknüpfung der Schlachte mit dem Innenstadtkern. Und natürlich erledigt die Stadt endlich ein paar Aufgaben, die längst überfällig sind (z.B. bei Sauberkeit und öffentlichen Toiletten).
Zugleich ist völlig klar, dass die grundlegenden Aufgaben noch vor uns liegen. Das führt auf das Thema Rahmenbedingungen der Entwicklung: Wir brauchen eine Verständigung darüber, wie der krisenhafte Strukturwandel von City und erweiterter Innenstadt zum Ausgangspunkt für ein mutige Transformation dieses Wirtschafts- und Stadtraums werden kann.
Für eine neue „Umbaukultur“: Ohne die Eigentümer*innen geht es nicht!
Die öffentliche Hand kann die „Immobilienadresse City“ nicht gegen den Strukturwandel des Einzelhandels und die Neuordnung des Büromarkts schützen. Es ist wahrscheinlich, dass große Flächen in den Hauptgeschäftsstraßen trotz aller Bemühungen brachfallen. Der Übergang von großen Handelsflächen zu kleinen Ladeneinheiten und zu einer ausdifferenzierten Nutzung aller Etagen – bis hin zur Rückkehr des Wohnens in die City – setzt einen komplizierten und langwierigen Umbauprozess vieler zentraler Immobilien voraus. Eine entscheidende Voraussetzung ist, dass sich von den Eigentümer*innen von Immobilien-Fonds über die Erb*innengemeinschaften bis zu ihren Hausverwaltungen - einer völlig ungewohnten Aufgabe stellen: Der ambitionier- ten Konversion von großflächigen Einzelhandels- und Büroimmobilien.
Auf einer Veranstaltung des Beirats Mitte vom 16.12.2020 warb Prof. Christoph Grafe (Universität Wuppertal) für eine „Umbaukultur“ und schlug vor, alle planerische Intelligenz auf das Heben der baulichen Potenziale der schon bestehenden Bebauung zu fokussieren. Das halten wir in der aktuellen Situation für den richtigen Ansatz! In derselben Veranstaltung berichtete der Architekt Alexis Angelis aus Oldenburg, wie eine leerstehende Kaufhausimmobile zu einem Refugium der spannendsten und zukunftsträchtigsten Unternehmen der Stadt geworden ist. Solche Vorbilder gilt es ausfindig zu machen, um konkrete Anregungen für unsere City zu erhalten!
Viel Einigkeit in den Zielsetzungen – aber was sind die Hebel?
Die Stichworte des Aktionsbündnisses zum Thema lauten „Nutzungsmischung auf engstem Raum“, „von einer Konsumzone zum sozial- und nutzungsgemischten Quartier“. Die Rede ist von „Manufakturen und Produktion“, „Wohnen“, „Daseinsvorsorge“ und „Wissenschaftseinrichtungen“. Und es wird festgestellt: „Das Ganze nutzt auch dem Handel“.
Das alles finden wir goldrichtig. Damit sind aber aus unserer Sicht folgende Fragen verbunden: Wie können die neuen Akteur*innen für die Innenstadt gewonnen werden? Wo und unter welchen Rahmenbedingungen können die neuen Konzepte erfunden und erprobt werden? Und schließlich: Wie kommen wir von der heutigen Immobilien-Konfiguration und – das muss ausgesprochen werden – dem heutigen Mietniveau zu einer Struktur, die diese neue Welt erst zulässt? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Papier des Aktionsbündnisses wenig. Etwas überspitzt könnte man ihm vorwerfen, dass die größere Aufmerksamkeit der Frage gewidmet ist, wie die Öffentliche Hand den Investor*innen einen Teil der Risiken abnehmen kann (die Stadt als Nachfragerin für Mietfläche oder als Bauherrin für Leuchttürme).
Ressourcen mobilisieren, Ideen kuratieren: Entwicklungsgesellschaft und Innenstadtintendanz
Wir sehen folgende Ansatzpunkte für das Handeln der Stadt: In Anbetracht der wachsenden Not sollte zwischen der Stadt und den Eigentümer*innen leerstehender Immobilien ein Entwicklungsbündnis geschlossen werden. Die Stadt übernimmt leerstehende Flächen für ein paar Jahre zu einer Minimalmiete und bringt sie in eine Entwicklungsgesellschaft ein. Diese Flächen werden zur zentralen Ressource für die Mobilisierung eines neuen Gründermilieus. Es geht also darum, in einem großen städtischen Labor herauszufinden, was in Zukunft trägt.
Das Aktionsbündnis hat die Idee einer Innenstadtintendanz aufgegriffen. Wir könnten uns vorstellen, dass diese Intendanz eine zentrale Rolle bei der Vergabe dieser Flächen und der Kuratierung und Begleitung der neuen Nutzer*innen übernimmt. Gesucht ist eine Person mit einer großen intellektuellen Ausstrahlung und einem umfassenden Verständnis für unsere Wirtschaft, die kulturelle Arbeit und die neuen sozialen Fragen und natürlich die Stadt als Ganzes. In der Stadt und Region die Pioniere für diesen Weg zu mobilisieren, ist eine Aufgabe, die nicht aus dem Behördenalltag zu leisten ist. Alle Ressorts, die den Wandel der Innenstadt im Rahmen ihrer Zuständigkeiten mitgestalten, sollten Kompetenzen an diese Intendanz abgeben. Es muss darum gehen, eine mächtige Position zwischen den Stühlen zu schaffen. Bevor also über mögliche Besetzungen gesprochen wird, sollten wir klären, welches Aufgabenprofil diese Intendanz hat und über welche Ressourcen sie verfügen kann. Mit Blick auf die Zusammensetzung des Innenstadtgipfels könnten wir uns gut jedoch vorstellen, dass es ein großer Gewinn wäre, wenn hier eine Fachfrau zum Zuge käme.
Der Instrumentenkasten der öffentlichen Hand: Städtebauförderung, Bau- und Planungsrecht, Vorkaufsrecht
Ein weiterer Hebel für die Bewältigung des Strukturwandels ergibt sich, wenn wir die erweiterte Innenstadt mit Mitteln aus der Städtebauförderung und dem besonderen Städtebaurecht begleiten. Überhaupt dürfte es für die Fachleute jetzt dringend sein, das Bau- und Planungsrecht systematisch nach den rechtlichen Spielräumen für die zunächst provisorische und schließlich auch formelle Umgestaltung der Innenstadt abzusuchen.
Auch wenn es niemand gerne hört: In einer Immobilienkrise sind Notverkäufe oder gar Zwangsversteigerungen ein Teil der Realität. Wir hoffen nicht, dass es so weit kommt. Falls doch, sollte sich die Stadt für diese Fälle ein Vorkaufsrecht sichern und die erforderlichen Mittel bereitstellen. Wir plädieren also dafür, dass die Stadt für einen angemessenen Zeitraum eine wichtige Rolle bei der Vergabe von Raum für den ökonomischen, sozialen und kulturellen Neustart der Innenstadt übernimmt. Idealerweise tut sich Bremen dafür mit ein paar anderen Städten zusammen und sorgt für einen intensiven Austausch von Ideen, Erfahrungen und Wettbewerb um die besten Ideen. Dabei können wir auf die guten Erfahrungen von „KOOP Stadt“ zurückgreifen – da waren Nürnberg und Leipzig unsere Partnerinnen.
III. Handlungsfelder für die Stadt der Zukunft: Wohnen, Nutzungsvielfalt, Klimaanpassung
Von Haus zu Haus: Baurechtliche Optionen prüfen, um Wohnraum zu schaffen
Wir sind uns mit dem Aktionsbündnis einig, dass dem Wohnen in der Zukunft der Innenstadt eine sehr große Bedeutung zukommt. Tatsächlich kommen wir damit nicht vom Fleck. Seit fast 10 Jahren haben wir einen Bebauungsplan, der das Wohnen in der City stärken soll. Das Baurecht stellt hohe Ansprüche und verlangt für die Umnutzung die Einhaltung aller aktuellen Normen. Das steht einer Umbaukultur direkt im Weg. Wir müssen klären, welche Hebel Bremen in der Hand hat, um daran etwas zu ändern. Ein Vorschlag stammt von Prof. Grafe: Die Umwandlung eines Geschäftshauses in ein Wohnhaus ist teuer. Um solche Umwandlungen auszulösen, braucht es starke wirtschaftliche Motive. Deshalb sollten wir Haus für Haus zu prüfen, ob Aufstockung möglich ist. Diesen Vorschlag sollten wir uns genauer ansehen! Wir sehen in diesen Aufstockungsrechten ein Privileg. Es ist daher die Gegenleistung für die Entwicklung der anderen Teile des Gebäudes.
Stadt ist für alle da! Nicht-kommerzielle Angebote für alle Generationen entwickeln
Ein Schlüssel für eine gute Zukunft der Innenstadt ist die Stärkung des Alltags- und Feiertagsnutzens für alle Bürger*innen und die jungen Leute der ganzen Stadt. Aus unserer Sicht ist es dafür notwendig, auch den nicht (in erster Linie) kommerziellen Angeboten eine große Aufmerksamkeit zu widmen. Dadurch wird die City auch für Gruppen interessanter, die zu selten in dieser Diskussion auftauchen: Kinder, junge Leute und ältere Menschen. Spiel, Bewegung und Erholung sind für die Entwicklung unserer Innenstadt bedeutsame Gesichtspunkte. Im öffentlichen Raum sollten sie sich durch die Vermehrung von Sitzgelegenheiten sowie die Schaffung und Neugestaltung von Spielgelegenheiten auf Straßen und Plätzen widerspiegeln.
Als Favoriten haben wir auf unserer Liste: Ein großes Spiel- und Bewegungshaus, das Aktivitäten für alle Generationen bietet. Freiwerdende Geschäftsflächen sollten zur Erprobung neuer Geschäftsmodelle im Bereich Second-Hand und Upcycling genutzt werden. Zudem sollten wir eine Immobilie suchen, die die Hochschule für Künste und die School of Architecture zu einem eigenen Kunstobjekt mit Gäste-Ateliers weiterentwickelt. Darüber hinaus könnte, ähnlich dem Klunkerkranich Berlin, auf dem großen Parkdeck auf dem Dach von Galeria Kaufhof ein Garten mit Bühne und Zapfhahn und damit ein neuer Anziehungspunkt für junge Menschen entstehen. Und selbstverständlich unterstützen wir alle Initiativen, die in der Innenstadt Wissenschaft und Ausbildung ansiedeln wollen.
Auf der Landkarte der jungen Menschen in der Republik ist Bremen bisher bestenfalls ein Geheimtipp. Aus unserer Sicht kann der Strukturwandel der Innenstadt ein Ausgangspunkt sein, um das zum Besseren zu wenden. Das kann aber nur gelingen, wenn die jungen Leute selbst eine Chance bekommen, dieses zentrale Stück Stadt zu prägen. Das gilt ebenso für die Kulturmacher*innen der Stadt, die für die Arbeit am Zentrum gewonnen werden müssen. Da geht es nicht nur um das Organisieren unterhaltsamer Überraschungen und Vergnügen: Es geht darum, dass ästhetische Arbeit und Kulturproduktion ein eigenständiger und zentraler Beitrag sein können, um Räume zu gestalten sowie Konzepte, Ideen und Praktiken zu entwickeln, die das Zentrum jetzt so dringend benötigt. Hier sollte eine neugierige und dauerhafte Partnerschaft begründet werden!
Ressourcenschonung und Klimaanpassung: Die Innenstadt wird grün – oder es wird ungemütlich!
Kopenhagen, Oslo oder Gent betreiben nicht nur mit Macht die ökologische Sanierung ihrer Städte, sie machen daraus auch eine Erfolgsstory für Stadtwirtschaft, Tourismus und die Bürger*innen ihrer Städte. Auch für das erweiterte Bremer Zentrum ist dieses Thema zentral für einen zukunftsfähigen Strukturwandel. Über die Verkehrswende, die Schonung der grauen Energie durch eine Umbaukultur, Neubau vorwiegend in Holz, die radikale Begrünung des öffentlichen Raums und der Dächer, die systematische Förderung der Wärme und Stromversorgung über Solaranlagen und Wärmepumpen, bis zu einer Badeanstalt an der Weser reichen hier die Vorschläge. Wenn wir über Leuchtturmprojekte im Rahmen der Innenstadtstrategie sprechen, denken wir natürlich zuerst an die neue Mitte. Das Versprechen steht im Raum: Die monolithischen Blöcke sollen aufgelöst werden. Die Überbauung der alten Straßen wird zurückgenommen. Das Parkhaus Mitte kommt weg. Und die neuen Häuser entsprechen allen Standards der ökologischen Wende.
Die Klimamodelle sagen voraus, dass die Bedingungen in Bremen in 30 Jahren denen des heutigen Paris ähnlich sein werden. Wer also heute ein Haus baut, irgendein Dach oder eine Straße anfasst und nicht gleichzeitig darauf achtet, das Stadtzentrum vor Überhitzung zu schützen und seinen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele von Paris zu leisten, hat seine Aufgabe nicht begriffen.
IV. Vom Zankapfel zum Aushängeschild: Die Verkehrswende in der Bremer Innenstadt
Und nun zum Verkehr. Wir unterstützen voll und ganz den Satz: „Verkehr kann nur als Teil einer integrierten Stadtentwicklung gedacht werden.“ Der Satz wird vom Aktionsbündnis als Kritik vorgetragen, weil im Moment die Fortschreibung des Verkehrsentwicklungsplans und die Vertiefung des Innenstadtkonzepts zwei getrennte Prozesse sind. Allerdings, so möchten wir erinnern, sind die Verfahren nicht nur beschlossene Sache, sondern etliche Akteur*innen aus dem Bündnis haben an beiden Planwerken mitgearbeitet. Insbesondere der Verkehrsentwicklungsplan zielt auf die ganze Stadt und kann deshalb nicht nur als Innenstadtthema behandelt werden. Die Dinge müssen also zusammengedacht werden, können aber nicht in einem Atemzug erarbeitet werden.
Der Motorisierte Individualverkehr (MIV) wird fair reduziert
Für die Koalition hat das Ziel einer autofreien Innenstadt viel mit dem weiter gefassten Thema einer Verkehrswende für ganz Bremen zu tun. Für uns geht es darum, in der ganzen Stadt den Verkehrsraum neu zu ordnen, an einer Stadt der kurzen Wege zu arbeiten, den Anteil des MIV am Modalsplit systematisch zu reduzieren und stattdessen den Umweltverbund systematisch zu stärken. Der Gewinn liegt in einem erheblichen Beitrag zum Klimaschutz, der Anpassung unserer Stadt an den Klimawandel und einem großen Potenzial für die Stärkung des öffentlichen Raums. So werden die Potenziale für eine lebendige Stadt und die wirtschaftlichen Nutzungen in den anliegenden Häusern freigesetzt. In einem Teil der Innenstadt und in den Zulaufachsen sind die Verkehrsräume und natürlich auch die Parkplatzangebote für KFZ-Mengen ausgelegt, die dringend reduziert werden müssen und auch schadlos reduziert werden können.
Wir sind uns einig, dass der Durchgangsverkehr aus der City so gut es geht herausgehalten werden sollte. Und vernünftigerweise streben wir an, dass sich die Menschen zwischen der Innenstadt und den umliegenden Stadtteilen zu Fuß, mit dem Rad, dem Taxi und dem ÖPNV bewegen. Auf den einschlägigen Entfernungen von bis zu 5 Kilometer sind diese Verkehrsmittel ohnehin überlegen. Aber natürlich ist ebenfalls richtig, dass sich die Attraktivität bestimmter Verkehrsmittel mit der Entfernung und der Erschließung des städtischen Raums ändert. Deshalb ist es unstrittig, dass der Reduktion des MIV auch Grenzen gesetzt sind. Besucher*innen des Zentrums und auch Mitarbeiter*innen der dort ansässigen Unternehmen, die weite Wege zurücklegen, werden auch in Zukunft oft ein Auto benutzen. Für diese Autos braucht es Verkehrsraum und Stellplätze. Aber diese Stellplätze werden weniger und sind in absehbarer Zeit nicht mehr im Zentrum und sie werden mehr kosten.
Mehr Platz für urbanes Leben, Durchgangsverkehre verringern, Zugangsmöglichkeiten sichern
Uns gefällt die Überschrift: Wir schaffen eine autofreie Innenstadt und arbeiten an der Verkehrswende für ganz Bremen. Aber wir wissen, dass viele Innenstadt-Akteur*innen Sorge haben, dass ihre autofahrenden Kund*innen dieses Ziel nicht teilen. Gerade in der augenblicklichen Situation wollen sie ihren Kund*innen das nicht zumuten. Zugleich lässt aber auch eine wachsende Zahl von Menschen das Auto stehen und hält es für einen Gewinn, wenn das Blech aus den Straßen verschwindet. Wir sagen: Der Streit entscheidet sich daran, ob es gelingt, Straßenstück für Straßenstück nachzuweisen, dass ein autofreier Stadtraum am Ende für alle ein Gewinn ist.
Im mittlerweile ritualisierten Streit um die Überschrift lassen sich keine konkreten Schritte entwickeln. Aus unserer Sicht sollte diese Auseinandersetzung einer echten Zusammenarbeit nicht länger im Weg stehen. Wichtig sind die konkreten Projekte und die zielen darauf, den Raum für Fußgänger*innen und die Ausbreitung der Innenstadtnutzungen (Handel, Gastronomie, Kultur, Spiel, Aufenthalt) zu erweitern. Dafür muss der Platz, den wir dem Auto widmen, reduziert werden. Wenn wir zugleich verlässliche und faire Angebote an diejenigen machen, die auf ihr Auto angewiesen bleiben, dann kommen wir gemeinsam weiter.
Den Innenstadtkern vielfältig mit seinen Nachbarstadtteilen verknüpfen!
Und nun noch einmal zu unserer These, dass die um die Innenstadt herum liegenden Stadtteile einen Schlüssel für die Lösung vieler Fragen haben. Es kommt darauf an, diese Stadteile mit der City innig zu vernetzen. Diese Vernetzung sollte über schöne Promenaden und Fahrradwege erfolgen. Was da möglich ist, sieht man an der unteren Schlachte, die sich zu einer grandiosen Uferpromenade vom Weserwehr bis zur Spitze der Überseeinsel weiterentwickelt. Wenn dann noch die Stadtstrecke auf der Neustadtseite sowie die Fußgänger*innen- und Fahrradbrücken dazu kommen, versteht man, was mit der gemeinsamen Entwicklung der Potentiale von Innenstadt und umliegenden Stadtteilen gemeint ist. Dadurch interessieren sich sowohl die Kund*innen aus den Vorstädten für die City als auch das Unternehmer*innen- und Gründer*innenmilieu, das die Innenstadt so gut brauchen kann!
Schlummernde Möglichkeiten: Das Potential der Wallanlagen
Die Wallanlagen sind der Raum, an dem sich das Gelingen der City-Anbindung an die nördlich gelegenen Quartiere Bahnhofsvorstadt, Barkhof und Findorff in hohem Maße mitentscheidet. Um die Verbindung aus diesen Richtungen zu stärken, wäre eine Fußgänger*innenbrücke über die Wallanlagen parallel zum Herdentor und nahe der Mühle geeignet. Dadurch entstünde eine durchgehende Achse vom Bahnhofsvorplatz, die den Hillmannplatz systematisch in die Laufwege einbindet und aufwertet. Eine weitere Brücke nahe der Bischofsnadel könnte dazu beitragen, die beengten und gefährlichen Zustände auf der historischen Brücke am Kennedy-Platz zu entschärfen. Auch die Verbindung von Findorff zur City, vorbei am neuen Bundeswehrhaus, könnte eine starke Verbindung ins Zentrum werden. Für diese dringend nötige Vernetzung müsste der Denkmalpfleger über seinen Schatten springen. Aber wann waren die Gründe dringlicher?
Bei der geplanten Radpremiumroute entlang des Wallrings muss der Nachweis geführt werden, dass der neue Wall nicht nur für eilige Radler*innen ein Gewinn wird, sondern dass auch der Wall als Adresse und Ziel gewinnt. Dass also die Ladenzeile und das Schmuckband der Parkanlage enger zusammenkommen. Ein Café auf dem Theaterberg wäre hier der richtige Beitrag und eine ideale Ergänzung zum Vorhaben des Senats, neue kleinräumige Unternehmungen nahe dem Wall (in sogenannten „C- Straßen“ wie Ostertorwallstraße und Herdentorwallstraße) zu ermöglichen.
Was wir alle gemeinsam wollen: Eine lebendige Stadt am Fluss
Die Kaisen- und die Stephanibrücke sind Lebensadern, die den Innenstadtkern mit dem bremischen Süden verbinden. Im Positionspapier „Große Allee“ haben wir Grüne bereits Vorschläge gemacht, wie eine Umgestaltung und Aufwertung der Brücken und Zufahrtsstraßen gelingen könnte. Auch mit der Friedrich-Ebert-Straße beschäftigen sich die Planer*innen. An diesen Stellen kann Bremen seine Lagegunst als „Stadt am Fluss“ voll ausspielen! Ein solches Netzwerk von schönen Wegen wird das Ziel stärken, dass die Menschen sich diesen großen Stadtraum, mit der City als Kern, in ihrem Alltag erschließen und dass sie ihn bevölkern und bereichern. Erst das schafft die Voraussetzungen für den Neustart einer lebendigen, von kleinteiliger Nutzungsvielfalt geprägten City.
Wir wollen die Zukunft der Innenstadt gemeinsam mit den Akteur*innen des Aktionsbünd- nisses gestalten! Die aus unserer Sicht wichtigsten Stellschrauben im Überblick:
Maßnahmen des Aktionsprogramms Innenstadt zügig umsetzen.
- Es braucht eine neue „Umbaukultur“: Die privaten Eigentümer*innen und die öffentliche Hand müssen sich den besonderen Herausforderungen dieser Krise stellen und sie als Chance für einen gemeinsamen Aufbruch begreifen!
- Nur wenn die Eigentümer*innen bereit sind, das Mietniveau der neuen Lage anzupassen, kann aus der aktuellen Krisensituation eine neue Entwicklungsdynamik entfaltet werden.
Öffentliche Hand und private Akteur*innen sollten ein Entwicklungsbündnis eingehen: Die Stadt übernimmt für eine gewisse Zeit Leerstände, bringt sie in eine Entwicklungsgesellschaft ein und ermöglicht es innovativen Köpfen, zu günstigen Konditionen im Zentrum das Neue auszuprobieren.
Wir unterstützen die Idee einer Innenstadtintendanz, um die besten Köpfe aus der Stadt und Region für das große Reallabor zwischen Wall und Weser zu mobilisieren.
Die Entwicklung der erweiterten Innenstadt soll mit Mitteln der Städtebauförderung und des besonderen Städtebaurechts begleitet werden.
Sollte es – nicht zuletzt durch die ökonomischen Auswirkungen der Corona-Krise – zu einer echten Immobilienkrise kommen, werden Notverkäufe oder gar Zwangsversteigerungen ein Teil der Realität. Die Stadt muss die nötigen Mittel bereitstellen und sich für diese Fälle ein Vorkaufsrecht sichern.
Insbesondere zur Stärkung des Wohnens in der Innenstadt müssen planungs- und baurechtliche Spielräume konsequent ausgeschöpft werden.
Vielfalt jetzt! Mit einem Spiel- und Bewegungshaus, einem Kunsthaus, einem Second-Hand-Space, einem Bremer Klunkerkranich sowie Nutzungen durch Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen werden Angebote für Menschen aller Generationen geschaffen. Nichtkommerzielle Projekte spielen hier eine bedeutsame Rolle.
- Kunst, Kultur, Sport und Wissenschaft müssen zu Partnern beim Erfinden der Zukunft der Innenstadt werden.
- Weil es viel spannender ist und um graue Energie zu schonen, gilt das Prinzip „Umbau vor Neubau“. Zudem wissen wir, dass es in unserer Innenstadt heißer werden wird – Klimaschutz und Klimaanpassung ist daher sowohl im Bestand als auch beim Neubau dringend erforderlich.
- Schluss mit dem Streit um Überschriften – der MIV wird massiv und fair reduziert: Überflüssige Durchgangsverkehre verschwinden. Zufahrtsmöglichkeiten für diejenigen, die größere Strecken zurücklegen oder aus anderen Gründen auf ein Auto angewiesen sind, werden gesichert. So wird der städtische Raum für lebendige Nutzungen frei und bleibt zugleich für alle erlebbar.
Eingebunden in ein attraktives Wegenetz: Wenn die Zugänge zum Innenstadtkern – Straßen, Brücken, Fahrradrouten, Uferpromenaden – aufgewertet werden, steigt die Anziehungskraft für die Milieus der umliegenden Quartiere und das stärkt beide: die Vorstädte und den Kern.
Die Wallanlagen verlangen als Aufenthaltsort und als Durchgangsbereich zur City eine systematische Betrachtung. Neue Brücken sowie ein Café am Theaterberg können hier eine neue Dynamik freisetzen.
- Alle wollen die „Stadt am Fluss“ mit Leben füllen – nur gemeinsam wird es uns gelingen!
Bremen, 29. Januar 2021