Wirtschaft

Leckerbissen für Bremen: Großmarkt zum urbanen Innovationsort für neue Lebensmittel weiterentwickeln!

Blick auf den Großmarkt (eigenes Bild)

Blick auf den Großmarkt (eigenes Bild)

Bremen hat im Bereich der Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft eine lange Tradition. Über die bremischen Häfen finden seit der Kolonialzeit Nahrungsmittel unterschiedlichster Art ihren Weg zu uns und von hier in die Welt. So entfallen derzeit 30 Prozent aller bremischen Importe und knapp zehn Prozent der Exporte auf diese Branche. Wenngleich vielen Bremer*innen insbesondere die jüngeren Abwanderungen von prominenten Unternehmen wie Kellog’s, Hachez oder Coca-Cola vor Augen stehen, so ist die Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft zweifelsohne eine Schlüsselbranche unserer Stadt. Die Beschäftigungszahlen sind seit Jahren stabil, die Struktur der Branche hat sich gewandelt: Der teils gewichenen Großindustrie sind viele kleine und mittelständische Unternehmen gefolgt, die nun den Standort prägen. Von Verpackungsbetrieben und Speditionen bis zu Lebensmittellaboren und anderen Forschungsinstituten haben sich an der Weser eine Vielzahl von Akteur*innen niedergelassen.

Hinter dieser Entwicklung stehen globalen Herausforderungen: Die Art, wie wir uns ernähren, verschärft dramatisch die größten ökologischen Krisen unserer Zeit, den Klimawandel und den Verlust von Artenvielfalt. Die Folgen führen zu Anpassungsdruck in der Nahrungsmittelherstellung und -verarbeitung. Die Zahl klimafreundlicher und ressourcenschonender Produkte wächst – und sie muss auch wachsen: sei es im Bereich pflanzlicher Ernährung für eine erfolgreiche Ernährungswende; sei es im Bereich alternativer Proteinquellen, um nicht nur die Ernährungs-, sondern auch die Futtermittelindustrie zu transformieren.

Die Ansprüche, die an Lebensmittel gestellt werden, wandeln sich: Die zunehmende Zahl von Siegeln wie „Bio“, „Fair Trade“, „vegetarisch“, „vegan“ sind ein starkes Indiz für eine erhöhte Sensibilität der Konsument*innen und eine Diversifizierung der Perspektiven auf das Thema Ernährung insgesamt.

Aus diesen Entwicklungen erwachsen unternehmerische Motive, um auch die Beziehungen zwischen Produzent*innen, Einzelhändler*innen und Kund*innen zu verändern. Neue Geschäftsmodelle entstehen in der Lebensmittelproduktion, in der Ernährungs- und Gesundheitsberatung oder indem Produktionsstätten mit kulinarischen Erlebnissen in der Gastronomie verbunden werden. Unsere Stadt hat das Glück, dass zahlreiche Neugründungen diese Dynamik für sich nutzen. Die Innovationsstrategie des Senats unterstützt daher gezielt die Neugier und Umtriebigkeit, die in dieser Branche herrscht.

Mit der „Hanse Kitchen“ ist in Bremen ein neuer Anlaufpunkt für die Food Start-up-Szene entstanden. Aktuell gestalten aufstrebende Unternehmer*innen an zwei Standorten die kulinarische Landschaft mit innovativen Lebens­mittel­konzepten und neuartigen Rezepturen neu. Das bereitgestellte Equipment bietet Möglichkeiten für Produktion, Produkt- und Rezept­entwicklung, Tastings und Co-Working. In diesem Rahmen können sich die Gründer*innen untereinander zu den neusten Food-Trends austauschen und ihre Ideen testen, ohne jeweils in einen eigenen Produktionsapparat investieren zu müssen. Diesen Schritt begrüßen wir sehr!

Eine Verlegung der „Hanse Kitchen“ in den Großmarkt ist bereits geplant. Der Großmarkt ist eine bedeutende Plattform der kleinen und mittelständischen Lebensmittelverarbeitung und –logistik. Schon jetzt spielt pflanzliche Ernährung dabei eine zentrale Rolle – das gilt es weiter zu stärken. Das angedachte „Food Hub“ setzt daher an der richtigen Stelle an: Start-ups sollen hier von der Idee bis zur Entwicklung begleitet werden. Allerdings können die Potenziale dieser einmaligen Gelegenheit nicht ausgeschöpft werden, solange der Großmarkt selbst nicht weiterentwickelt wird und jungen Unternehmen mit starkem Wachstum eine Ansiedlungsperspektive gegeben wird.

1. Den Großmarkt mit dem urbanen Umfeld vernetzen 

Der Großmarkt ist planungsrechtlich eine Sondernutzungsfläche und schirmt sein Betriebsgelände von 16,5 ha mit einem 2 Meter hohen Zaun gegen den Rest der Überseestadt ab.

Aber der Großmarkt ist kein beliebiges Betriebsgelände und die Überseestadt kein beliebiger Ortsteil. Aus wirtschafts- und stadtentwicklungspolitischer Sicht ist es überfällig, sich um die Synergien zwischen beidem zu kümmern. Die augenblickliche Abschirmung des Großmarktes ist ein Anachronismus. Das Betriebsgelände braucht unzweifelhaft einen besonderen Schutz. Aber insbesondere an der östlichen, gemeinsamen Kante mit der neuen Mitte der Überseestadt sollten wir dringend etwas ändern.

Wir schlagen vor, diesen „Rand“ des Großmarkts (entlang Marcuskaje und Am Waller Freihafen) zu einer besonderen Zone umzugestalten. Sie bleibt Teil der Liegenschaften des Großmarktes, dient aber insbesondere als Plattform für die Förderung von Gründungen und Innovation im Lebensmittelsektor. Dazu müssen drei Punkten bearbeitet werden: a) die Grenze der planungsrechtlichen Sondernutzungszone Großmarkt muss verlegt werden, b) die Anpassung der verkehrlichen Erschließung und c) die bauliche Umgestaltung des östlichen Randes.

a) Öffnen und entwickeln

Die Öffnung eines Teils des Großmarktgeländes für das städtische Publikum würde eine stärkere Verflechtung von Großmarkt und umgebender Überseestadt erlauben. Das hat allerdings planungsrechtliche Voraussetzung: Das exklusive Gebiet des Großmarkts sollte an der Ostseite zurückrücken bis zur inneren  Ringerschließung. Eine vergleichbare planungsrechtliche Anpassung der Grenzen des Sondernutzungsgebiets wurde bereits für das neue Lebensmitteleinzelhandelszentrum vorgenommen.

Ziel dieser Neuordnung ist es, den zum Gewerbegebiet umgewandelten östlichen Streifen für die Vernetzung zwischen Großmarkt und der Mitte der Überseestadt zu nutzen. An der Entwicklung dieser neuen Mitte wird mit vielfältigen Maßnahmen gearbeitet: Das Franz-Pieper-Karree wird neu gestaltet und besser nutzbar für Kinder und Nachbarn. Die kleine Parkanlage könnte eines Tages mit Spezialmärkten durch den Großmarkt bespielt werden. Der Verbrauchermarkt erhöht die Zentralität. Zudem wird der LKW-Parkplatz auf der Nordseite bebaut. Käme noch der neu gestaltete östliche Rand des Großmarktes hinzu, wären alle wesentlichen Elemente für einen lebendigen Platz beisammen!

Über die bestehenden Planungen zum Food Hub hinaus könnten am neuen Östlichen Rand Labore, Institute und eben Start-ups aus der Nahrungsmittelbranche angesiedelt werden. Der Großmarkt hat eine gut entwickelte betriebliche Organisation und könnte daher weitere Aufgaben für die Steuerung und Begleitung dieser neuen Aufgabe übernehmen. Ein Baustein könnte darin bestehen, die Innovationen aus den Testküchen in einer Pop-up-Restaurant-Fläche mit regelmäßig wechselnden Gestaltungskonzepten der bremischen Öffentlichkeit zu präsentieren und damit erlebbar zu machen (Vorbild „FoodLab“ Hamburg). Des Weiteren könnte die intensive Nutzung in der Halle IV an Ort und Stelle bleiben oder auf mittlere Sicht in eine andere geeignete Halle auf dem Großmarktgelände umziehen. Die Anpassung des Planungsrechts schafft also konkrete Gestaltungsspielräume.

b) Ein- und Ausfahrt schlanker organisieren

Die Ein- und Ausfahrt des Großmarktes besteht aktuell aus sechs Spuren und ist ca. 40 Meter breit. In die Einfahrt integriert bzw. angelagert sind eine Reihe von Zusatzfunktionen: Pförtner, Waage, Tankstelle, Recyclingstation. Die Dimensionierung des Zugangs ist auf Verkehrsspitzen ausgelegt. Die tatsächliche Nutzung beschränkt sich auf wenige Stunden, tagsüber herrscht dagegen Ruhe. Diese Infrastruktur stammt aus einer Zeit, als sparsamer Umgang mit Fläche nur wenige interessierte. Sie muss dringend überarbeitet werden

Die Verwaltung hat sich deshalb auf Bitten der Koalition mit der Frage beschäftigt, ob und wie die Ein- und Ausfahrt des Großmarktes an die Eduard-Suhling-Straße verlegt werden könnte. Die Prüfung hat ergeben, dass unverhältnismäßig hohe Kosten für bauliche Maßnahmen entstünden. Darüber hinaus wurden funktionale Verschlechterungen für den Großmarkt prognostiziert.

Die Position aus dem Koalitionsvertrag, die Ein- und Ausfahrt des Großmarktes an die Eduard-Suhling-Straße zu verlegen, kann also nicht umgesetzt werden. Wir plädieren aber nachdrücklich dafür, sich nicht mit dem Status quo abzufinden. Die überdimensionierte Einfahrt ist weiterhin ein ernstes Hindernis für die Verflechtung und gegenseitige Stärkung von Großmarkt und Mitte der Überseestadt.

Zwei Optionen sollten geprüft: Entweder eine Trennung von Ein- und Ausfahrt – wobei die einfahrenden Verkehre weiterhin vom Waller Freihafen kommen und die ausfahrenden Verkehre über die Eduard-Suhling-Straße abfließen. Oder eine Verkleinerung der bestehenden Ein- und Ausfahrt – alternierend die gleichen Spuren genutzt werden und für die jeweils entgegengesetzte Richtung nur eine Spur angeboten wird (Vorbild Elbtunnel oder Messeschnellweg Hannover).

c) Bauliche Umgestaltung des östlichen Rands des Großmarktes

Gelingt die Reduktion des Platzverbrauchs der Ein- und Ausfahrt, lässt sich in der Nachbarschaft des jetzigen Verwaltungsgebäudes und seines Parkplatzes ein neues interessantes Baugrundstück schaffen, das zur Refinanzierung der Operation beitragen könnte. 
Das bestehende Verwaltungsgebäude ist eher unternutzt und kann weitere Funktionen aufnehmen. Überhaupt schlagen wir eher eine Weiterentwicklung des baulichen Bestands statt Abriss und Neubau vor.

Der Ehrgeiz müsste im Sinne einer doppelten Innenentwicklung zudem darauf gerichtet sein, die opulenten Parkplätze und LKW-Erschließungsstrukturen für Nachverdichtung und für eine grüne Aufwertung zu nutzen. Ein Gründer- und Innovationszentrum, das sich die ökologische Transformation von menschlicher Nahrung und Tierfutter vornimmt, muss ohnehin alles unternehmen, auch beim Umgang mit Gebäuden und öffentlichen Räumen zu zeigen, wofür es steht. 

2. Wachstum im Inneren des Großmarkts – und darüber hinaus

Die Betriebe im Inneren des Großmarkts rund um die große Markthalle bilden ein lebendiges Ökosystem. Es gibt vielfältige gegenseitige Abhängigkeiten und Vorteile, ca. 500 Arbeitsplätze werden hier von einer beachtlichen Zahl von Unternehmen geschaffen. Über die neue Aufgabe am östlichen Rand hinaus glauben wir, dass durch eine konzeptionelle Weiterentwicklung des Großmarkts selbst mehr für den Nahrungs- und Genussmittelstandort Bremen getan werden kann.

Unvermeidlich fallen im Laufe der Entwicklung Mietflächen brach, Unternehmen ändern ihr Konzept, verschwinden vom Markt oder wachsen und brauchen mehr Fläche.  Der Großmarkt bietet auch Mietflächen für Unternehmen aus dem weiteren Umfeld der Lebensmittelwirtschaft an. Diese Unternehmen können sich hier entwickeln und haben einen flexiblen Vermieter. Wir sind allerdings der Meinung, dass die Flächenpotenziale des Großmarkts nicht dafür genutzt werden sollten, um das dauerhafte Wachstum dieser Unternehmen auf dem Großmarktgelände selbst zu organisieren. Dafür sind die Flächen zu knapp und der Mix an Unternehmen zu entscheidend für das Gelingen des Ganzen. Ab einem gewissen Reifegrad sollten Unternehmen daher für die Ansiedlung junger Food-Unternehmen Platz machen, so dass der Großmarkt als Innovationsort immer offen für neue Impulse bleibt.

Unternehmen, die über die Kapazitäten des Großmarkts hinauswachsen, wollen wir eine neue Erweiterungsperspektive geben: Wir schlagen vor, in Verhandlungen mit den Eigentümern des Kaffee-HAG-Areals im nahe gelegenen Holz- und Fabrikenhafen zu treten, um herauszufinden, ob dort ein Interesse an einer Kooperation besteht. Die dort verfügbaren Flächen sind für Nahrungsmittelproduktion geeignet, sowohl hinsichtlich der technischen Aspekte (Planungsrecht, verkehrliche Erschließung und Lärmtoleranz) als auch durch die Nähe zum Großmarkt selbst. Netzwerke, die in der Gründungsphase geknüpft wurden, können so unkompliziert weitergepflegt werden. Überdies hat dieser Standort, wie der Name verrät, eine Tradition für diese Branche.

Wir wollen den Ideenreichtum und die Umtriebigkeit unserer Nahrungs- und Genussmittelbranche als Impuls für eine echte Weiterentwicklung des Großmarkts nutzen und diesen Prozess zu einem Gewinn für die Menschen in Bremen, insbesondere in Walle und der Überseestadt, zu machen.

Unser Ziel ist es:

  1. Großmarkt und die Mitte der Überseestadt miteinander vernetzen, um Innovation in der Nahrungs- und Genussmittelbranche zu stärken und für eine breites Publikum erlebbar zu machen:
    • Durch eine planungsrechtliche Verschiebung der Grenzen des Sondernutzungsgebiets Großmarkt.
    • Durch eine Prüfung weiterer Optionen zur Neuorganisation von Verkehren (Trennung von Ein- und Ausfahrt; Verkleinerung der Ein- und Ausfahrt).
    • Durch eine bauliche Neugestaltung und Nachverdichtung des östlichen Rands des Großmarkts inklusive ökologischer Aufwertung.
  2. Frei werdende Flächen auf dem Großmarktgelände überregional gezielt als Gründungsorte bewerben und entsprechend an nachhaltig arbeitende Start-ups vergeben, um immer neue Impulse für unseren Standort aufzunehmen. Den Ansatz des Food Hubs, Gründer*innen von der Idee bis zur Entwicklung zu begleiten, halten wir für wegweisend.
  3. Eine Kooperation mit den Eigentümern des Kaffee-HAG-Areals suchen, um junge Unternehmen, die über die räumlichen Kapazitäten des Großmarkts hinauswachsen, eine bestens erschlossene und traditionsreiche Ansiedlungsoption zu bieten.

Bremen, den 26. Juli 2022