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Kinder- und Familienförderung neu gestalten: einfacher, gerechter, wirksamer

Familie by evgenyatamanenko (iStock)

Familie by evgenyatamanenko (iStock)

41% der Kinder und Jugendlichen in Bremen und Bremerhaven leben in Armut oder sind von Armut bedroht - das sind fast die Hälfte der im Land Bremen aufwachsenden Kinder. Bundesweit wächst jedes fünfte Kind in Armut oder armutsgefährdet auf. Besonders von Armut betroffen sind Kinder in Ein-Eltern-Familien und von Geringverdienenden. Armut hat weitreichende Folgen für das Leben dieser Kinder und Jugendlichen. Denn Armut bedeutet Ausgrenzung, Diskriminierung, mangelnde Gesundheit und Teilhabe, und leider auch weniger Bildungs- und damit Aufstiegschancen.

Es ist Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass alle Kinder und Jugendlichen in unserem Land bestmöglich aufwachsen, sich frei entfalten können und die gleichen Startchancen haben, egal in welches Elternhaus sie geboren wurden.

Die Kinder- und Familienförderung in Deutschland ist derzeit trotz einer Vielzahl an Leistungen weder gerecht noch wirksam. Immer noch landen zu viele Kinder und Jugendlichen und ihre Familien in verdeckter Armut und müssen mit einem Einkommen unter dem Existenzminimum auskommen, auch weil sie zum Teil gar nicht wissen, dass sie Ansprüche auf Leistungen haben - beispielsweise beim Kinderzuschlag oder Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Die Hürden bei der Beantragung der Leistungen sind für viele Familien viel zu hoch.

Der bestehende Leistungsdschungel für Familien ist intransparent und unübersichtlich. Die momentanen Instrumente der Kinder- und Familienförderung verstärken die Ungleichbehandlung zum Teil noch, da Familien mit einem guten oder hohen Einkommen stärker entlastet werden, als Familien mit einem geringen oder keinem eigenen Einkommen.

Die derzeit von der Bundesregierung vorgelegten Pläne zur Einführung einer Kindergrundsicherung und der Reform des Elterngeldes gehören daher zu den größten sozialpolitischen Vorhaben der Ampel-Regierung, müssen sich aber der Frage stellen, ob sie in der aktuell vorliegenden Form auch den gewünschten Effekt bringen werden.

Die Kindergrundsicherung

In der Kindergrundsicherung werden verschiedene, bereits bestehende Leistungen für Kinder aufgehen. Das vereinfacht das System und insbesondere die Beantragung der bisher unterschiedlichen Leistungen deutlich. Die Kindergrundsicherung wird zukünftig nach der Geburt eines Kindes beantragt. Das spart für die Familien viel Zeit und verhindert, dass Eltern und Kinder durch die Lücken des Unterstützungssystems fallen. Verdeckter Armut wird dadurch direkt entgegengewirkt. Eine aktuelle Studie des DIW im Auftrag der Diakonie Deutschland zeigt, dass die Folgekosten von Kinderarmut um ein vielfaches höher sind, als die Zahlung einer Kindergrundsicherung.

Die Kindergrundsicherung wird aus einem Garantiebetrag und einem Zusatzbetrag bestehen. Der Garantiebetrag wird das Kindergeld ersetzen und einkommensunabhängig an jedes Kind in Deutschland ausgezahlt und nicht wie bisher mit anderen Leistungen verrechnet. Der altersgestaffelte Zusatzbetrag passt sich variabel an die Bedürfnisse an und ist vom Einkommen der Eltern abhängig. Durch einen automatisierten Kindergrundsicherungs-Check sollen Steuerdaten künftig daraufhin abgeglichen werden, ob Anspruch auf den Zusatzbeitrag besteht.

Durch die Einführung der Kindergrundsicherung kehren wir die Holschuld der Eltern in eine Bringschuld des Staates um. Dadurch machen wir die staatliche Unterstützung für Kinder gerechter, einfacher und zugänglicher.

Angesichts der vielen in Armut aufwachsenden und von Armut bedrohten Kinder ist die Einführung der Kindergrundsicherung zwingend notwendig. Wir fordern eine schnelle Einigung der Bundesregierung bei der Frage der Umsetzung und Finanzierung der Kindergrundsicherung und eine Sicherstellung der benötigten Mittel in den Haushaltsverhandlungen. Eine Lösung, die das Aufwachsen unserer Kinder in Wohlergehen sicherstellt, duldet keinen weiteren Aufschub!

Das Elterngeld

Das Elterngeld hat den Zweck, finanzielle Verluste, die bei der Familiengründung entstehen, zu mildern und gleichzeitig Anreize zu schaffen, bald wieder in den Arbeitsmarkt zurück zu kehren.

Nach der Geburt eines Kindes übernimmt häufig ein Elternteil den Großteil der Care-Arbeit, während das andere sich auf die Erwerbsarbeit fokussiert. Es entstehen für die Person, welche die Care-Arbeit übernimmt, finanzielle Nachteile sowie Nachteile auf dem Arbeitsmarkt. Regelmäßig führen diese Nachteile auch zu finanziellen Einbußen im Alter und Altersarmut, insbesondere für Mütter, die nach wie vor in Deutschland mehrheitlich die Care-Arbeit übernehmen und auch Jahre nach der Geburt noch mit reduzierten Stunden arbeiten.

Momentan kann das Elterngeld in verschiedenen Variationen in Anspruch genommen werden. Gemeinsam haben die verschiedenen Varianten jedoch, dass sie bisher für Väter, die in Folge des Gender-Pay-Gaps nach wie vor meistens ein deutlich höheres Einkommen erzielen, nicht genügend Anreiz bieten, Elternzeit zu nehmen oder sich die Elternzeit-Monate paritätisch mit ihrer Partnerin zu teilen. Somit sind die Nutzungsmöglichkeiten des Elterngeldes zwar vielseitig, faktisch hat die Höhe des Haushaltseinkommens und der Abstand zwischen dem Einkommen von Mutter und Vater eine stark limitierende und kanalisierende Wirkung. Pflegeeltern haben bisher keinen Elterngeldanspruch. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag jedoch vorgenommen, künftig auch für Pflegeeltern eine Elterngeld- bzw. elterngeldanaloge Zahlung zu ermöglichen. Bisher erwerben Pflegeeltern durch die Betreuung eines Pflegekindes nicht automatisch einen Rentenanspruch und müssen selbst für ihre Altersvorsorge sorgen.

Die Beantragung des Elterngeldes ist derzeit sehr voraussetzungsreich und benötigt eine Vielzahl an Informationen durch die Antragsteller*innen, die den Finanzämtern bereits vorliegen. Die Höhe des Elterngeldes ist vom Individualeinkommen der beantragenden Person abhängig und auf 65% des Individualeinkommens festgelegt, wobei der monatliche Höchstsatz bei 1800€ liegt und seit seiner Einführung nicht mehr an die Inflation angepasst wurde. Da das Elterngeld mittlerweile in voller Höhe auf Leistungen des ALG II angerechnet wird, kommt es auch hier zu einer Umverteilung zugunsten einkommensstarker Eltern.

Die Bundesregierung muss nun schnell einen Vorschlag für die Dynamisierung des Basis- und Höchstbetrags des Elterngeldes vorlegen.

Was muss bei der Reformierung des Elterngeldes und der Einführung der Kindergrundsicherung berücksichtigt werden?

Aus Sicht der Grünen-Fraktion sind die Einführung einer Kindergrundsicherung und die Reformierung des Elterngeldes dringend notwendig und müssen zeitnah umgesetzt werden. Dabei sollten folgenden Punkte besonders berücksichtigt werden:

  • Die Kindergrundsicherung muss unabhängig von Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus für alle in Deutschland lebenden Kinder gewährt werden.
  • Die Kindergrundsicherung muss nach einmaliger Beantragung automatisch ausgezahlt werden.
  • In der Kindergrundsicherung müssen die Kinderregelsätze, der Kinderzuschlag, das Bildungs- und Teilhabepaket, das Kindergeld und die Freibeträge aufgehen.
  • Der Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung muss sich an dem soziokulturellen Existenzminimum von Kindern und Jugendlichen orientieren und ihre tatsächlichen Bedarfe sowie zukünftige Steigerungen berücksichtigen und dadurch eine echte Teilhabe ermöglichen.
  • Die Kindergrundsicherung darf nicht mit anderen Sozialleistungen verrechnet werden.
  • Elterngeld und Kindergrundsicherungen müssen zukünftig unkompliziert, digital und für alle Menschen verständlich beantragt werden können. Die Informationen müssen mehrsprachig, in einfacher Sprache und barrierearm verfügbar sein. Durch eine anlassbezogene Einverständniserklärung muss ein Datenaustausch zwischen den relevanten Behörden ermöglicht werden.
  • Der Antragsprozess beim Elterngeld muss reformiert und digitalisiert werden.
  • Bei einer Reform des Elterngeldes muss unbedingt darauf geachtet werden, dass nicht nur die Höhe des Elterngeldes gerechter ausgestaltet, sondern auch dynamisch angepasst wird, sobald sich die Lebenskosten erhöhen.
  • Für eine höhere soziale Gerechtigkeit muss sich die Höhe des Elterngeldes zukünftig am Median des Nettoäquivalenzeinkommens von Vollzeitbeschäftigten in Deutschland orientieren.
  • Für eine Finanzierung der Elterngelderhöhung und eine Erhöhung der Geschlechtergerechtigkeit muss das Ehegattensplitting abgeschafft werden.
  • Der Bezug des Elterngeldes muss paritätisch zwischen den Eltern aufgeteilt sein.
  • Die mögliche Bezugsdauer von Elterngeld in Teilzeit muss dringend ausgebaut werden.
  • Ein Bezug von Elterngeld oder elterngeldanalogen Leistungen neben der Zahlung des Pflegegeldes muss auf Bundesebene auch für Pflegefamilien ermöglicht werden.
  • Es müssen angemessene Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für Pflegeeltern geleistet werden.
  • Für eine vollständige Gleichstellung von Zwei-Mütter-Familien, muss das Abstammungsrecht insofern reformiert werden, dass der Prozess der Stiefkindadoption nicht mehr notwendig und beide Mütter von Geburt des Kindes an als Mütter anerkannt sind.

     

Bremen, den  28. August 2023