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EIN „LIFE CYCLE INNOVATION HUB“ FÜR BREMERHAVEN: Mit dem Energy Port mehr Nachhaltigkeit in der Offshore-Branche schaffen
EIN „LIFE CYCLE INNOVATION HUB“ FÜR BREMERHAVEN:
Mit dem Energy Port mehr Nachhaltigkeit in der Offshore-Branche schaffen
Die Offshore-Windenergie steht am Anfang eines großen Booms. Der deutsche Ausbaupfad sieht einen Zubau an Offshore-Leistung von 30 GW bis 2030 und 70 GW bis 2045 vor. Hersteller und Zulieferer bringen sich für die Realisierung der künftigen Windparks in Stellung.
Wie die jüngst vorgelegten Ergebnisse der Bedarfs- und Standortanalyse zum Energy Port deutlich machen, bieten sich dem Energiewendestandort Bremerhaven eine Reihe von wirtschaftlichen Chancen. So sollte das südliche Ende des Containerterminals großzügig für den Umschlag von Komponenten genutzt werden, um Bremerhaven dauerhaft als Installationshafen am Offshore-Markt zu platzieren. Im Südlichen Fischereihafen ist neben der Ansiedlung produzierender Unternehmen auch das Recycling von Altanlagen eine bedeutende Entwicklungsperspektive. Während die öffentliche Diskussion zum Energy Port vornehmlich auf die Potenziale für Produktion und Umschlag fokussiert, sollte das Recycling von Windenergieanlagen als weiterer Baustein nicht unterschätzt werden. Jede technische Anlage kommt irgendwann an ihr Lebensende. Das ist bei Windenergieanlagen nicht anders.
All die Windräder, die schon jetzt in der Nordsee stehen, und die noch viel zahlreicheren Windräder, die in Zukunft dazukommen werden, haben eine Lebensdauer von rund 20 bis 25 Jahren. Gegen Ende dieses Jahrzehnts nimmt der Rückbaubedarf daher allmählich zu und er wird ab 2030 sprunghaft ansteigen. Es geht um hunderttausende Tonnen an Stahl, Glasfasern, Harzen, Ölen und kritischen Rohstoffen (wie z.B. Seltenen Erden). Bisher gibt es keinen Standort entlang der Nordsee, der sich der wichtigen Aufgabe angenommen hat, die notwendigen Innovationen beim industriellen Rückbau und Recycling voranzutreiben.
Als GRÜNE wollen wir, dass in den weiteren Planungen zum Energy Port Bremerhaven auch der Aufbau eines „Life Cycle Innovation Hubs“ verankert und mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie konzipiert und umgesetzt wird.
Wo stehen wir?
Windparkbetreiber und Anlagenhersteller sind erste Schritte gegangen, um kreislauffähiger zu werden: Der Windparkbetreiber Ørsted verpflichtete sich im Juni 2021, alle Rotorblätter aus seinen Windparks nach der Stilllegung entweder wiederzuverwenden, zu recyceln oder zu verwerten. Vestas stellte im Oktober 2021 eine neue Roadmap zur Kreislaufwirtschaft vor, um das Ziel abfallfreier Windturbinen bis 2040 zu erreichen. Siemens-Gamesa hat sich im Juli 2021 verpflichtet, seine Rotorblätter bis 2030 und seine Turbinen bis 2040 vollständig recycelbar zu machen. Dennoch ist die Industrie in puncto Rückbau und Recycling nicht adäquat aufgestellt. Es bestehen verschiedene technologische, organisatorische und wirtschaftliche Herausforderungen:
Die Windparkbetreiber stehen unter hohem Renditedruck und unterliegen einer Rückbauverpflichtung, weswegen sie an möglichst effizienten Verwertungsprozessen interessiert sind. Angemessene Kapazitäten zum Recycling von Offshore-Komponenten existieren bishernicht.
Derzeit übliche Zerlegungsverfahren, etwa für Rotorblätter, sind zeitaufwendig und unwirtschaftlich, da ein Recycling in Serie bislang nicht möglich ist. Für das Recycling mancher Bauelemente (etwa rohstoffreichen Permanentmagneten) gibt es in Deutschland weder eine funktionierende Sammellogistik noch geeigneten Anlagen. Es braucht organisatorische und technologische Innovationen, um die künftig anfallenden Materialmengen zu verwerten.
Damit sich der Betrieb einer Recyclinganlage lohnt, müssen diese mit einer gewissen Konstanz arbeiten. Eine entsprechende Auslastung verlangt eine Bündelung von Stoffströmen, die innerhalb der Branche bisher nicht organisiert ist.
Welche Chancen gibt es?
Das Problembewusstsein in der Branche wächst mit der Beschleunigung des Offshore-Ausbaus. In letzter Zeit wurde der Handlungsdruck vielfach artikuliert – und der Blick auf ein zukunftsweisendes Geschäftsfeld gelenkt:
Der Bedarf an Innovation ist unübersehbar. Schätzungen des Instituts für Energie und Kreislaufwirtschaft an der Hochschule Bremen zufolge fallen bis 2040 rund 100 000 Tonnen Rotorblätter, 380 000 Tonnen Turmsegmente und 350 000 Tonnen Gondeln zur Verwertung an. Vereinfacht gesprochen gehen Expert*innen davon aus, dass ab 2030ein bis zwei Offshore-Windparks pro Jahrzurückgebaut werden müssen. Der Industrieverband RDR Wind aktualisiert – mit Unterstützung des Fraunhofer IWES – solche Prognosen zum Rückbau jährlich, um Daten für die Recyclingindustrie zum Aufbau notwendiger Behandlungs- und Verwertungskapazitäten liefern.
Ein vielfältiges Bündnis - u.a. aus WWF, Deutsche Umwelthilfe und IG Metall – betont in seinen „Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Windenergieproduktion in Europa“,dass durch Einsatz von wiederverwendbaren Bauteilen und Rezyklaten, einem hochwertigen Rückbau sowie einer kreislaufgerechten Gestaltung Ressourcen eingespart werden können. Gerade die „aktive Förderung von Forschung und Entwicklung“ helfe, Zirkularität zu stärken und Rohstoffabhängigkeiten zu reduzieren. Auch laut Deutscher Energie-Agentur sollte für die besseren Recyclingmöglichkeiten in der Offshore-Branche „vor allem die Forschung gestärkt werden, um Verfahren und Qualität bei möglichen recycelbaren Materialien zu verbessern (z. B. für Eisen/Stahl, Kupfer, Aluminium, Zink oder Glas) sowie neue Stoffkreisläufe aufzubauen (z. B. Lithium, Seltene Erden oder andere Metalle).“
Das Bundesumweltministerium hat im Entwurf zur Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie ebenfalls die Förderung eines zirkulären Anlagendesigns und die Verbesserung der Demontage- und Recyclingprozesse von Windenergieanlagen als zentrale Maßnahmen im Handlungsfeld Windenergie identifiziert. Das Bundeswirtschaftsministerium unterstützt entsprechende Technologieentwicklungen im Rahmen des Energieforschungsprogramms.
Auf europäischer Ebene hat der so genannte Draghi-Report zur Wettbewerbsfähigkeit der EU einen erheblichen Bedarf an Investitionen in Recyclingkapazitäten konstatiert, um mehrSicherheit in der Rohstoffversorgung zu erreichen. Alte Windenergieanlagen werden explizit als wichtige Quelle für Sekundärrohstoffe genannt. Auch der Europäische Ausschuss der Regionen hat in einer Stellungnahme zur Zukunft der Windenergiebranche jüngst hervorgehoben, dass angesichts des schnellen Ausbaus der Windenergie in Europa mehr Innovation beim Recycling von Altanlagen erforderlich sei.
Welche Rolle spielen die Häfen?
Als Orten der maritimen Innovation kommt den Häfen eine Schlüsselrolle zu. Der Bundesverband Windenergie Offshore macht entsprechend darauf aufmerksam, dass die Häfen beim Offshore-Ausbau in mehrfacher Weise gefordert sind: Neben Flächenkapazitäten für Produktion, Fertigung, Umschlag, und Lagerung von Komponenten für Offshore-Windparks müssen auch Genehmigungsverfahren für Möglichkeiten zum Recycling der Altanlagen vorangetrieben werden. In einer Analyse der Potenziale der Windenergie für die niedersächsischen Seehäfen hielt Windguard fest, dass bisher noch kein Rückbau von Offshore-Windparks in Deutschland stattgefunden habe und noch keine etablierten Konzepte und detaillierten Erfahrungswerte vorlägen. Ein Rücktransport der Komponenten vom Offshore-Windpark in die Häfen wird notwendig sein, woraufhin in den Häfen Schritte zur Demontage und Zerlegung erfolgen. In diesem Kontext könnten sich „Unternehmen, die sich beispielsweise auf die Verwertung oder das Recycling der Komponenten und Materialien spezialisiert haben, in der Nähe der Häfen ansiedeln“, so Windguard.
Das Forschungsprojekt „SeeOff“ der Hochschule Bremen hat in seiner Analyse von Offshore-Rückbauprozessen festgehalten, dass frühzeitige Kooperationen mit Windparkbetreibern und Hafenbetreibern für Planungs- und Investitionsentscheidungen erforderlich seien, um wirtschaftliche und nachhaltige Recyclingprozesse zu ermöglichen. Mit einem Wort: Es muss ein funktionierendes Verwertungsnetzwerk aufgebaut werden. Das bedeutet auch, einen branchenübergreifenden und überregionalen Ansatz zu verfolgen. Da der Umgang mit Altanlagen alle Nordseeanrainer betrifft, sollte eine grenzübergreifende Vernetzung von Kompetenzen angestrebt werden. Um die Herausforderung der konstanten Auslastung einer neu aufzubauenden Recyclinganlage zu adressieren, sollte zudem nach Möglichkeiten gesucht werden, die Verwertung von alten Windenergieanlagen mit der Verwertung anderer langlebiger Güter (z.B. Schiffen oder Fahrzeugen) zu kombinieren.Kooperationsmöglichkeiten mit Akteuren aus der gesamten Region, die etwa im Innovationsnetzwerk ShipRec organisiert sind, bieten hierfür einen guten Ansatzpunkt.
Auf den Stärken unseres Bundeslandes aufbauen
Unser Bundesland bietet im Bereich Circular Economy sowohl starke Unternehmen als auch starke Forschungseinrichtungen, insbesondere am Fraunhofer IWES und Fraunhofer IFAM sowie an den Hochschulen Bremen und Bremerhaven. Es ist kein Zufall, dass der Verein Deutscher Ingenieure in diesem und im nächsten Jahr gleich zwei Fachkonferenzen zum „Rückbau von Windkraftanlagen“ durchführt – und zwar in Bremen und Bremerhaven. Diese Kompetenz ist ein Standortvorteil, der genutzt werden sollte, um branchenweite Standards im Rückbau und Recycling zu etablieren.
Gelingt der Aufbau eines solchen innovativen Verwertungsnetzwerks, könnten dadurch private Investitionen mobilisiert und an unserem Standort Arbeitsplätze geschaffen werden, die einen maßgeblichen Beitrag zu einer nachhaltigen Energiewende leisten, die Ressourcen schont, Rohstoffabhängigkeiten reduziert und CO2-Emissionen einspart! An der europäischen Nordseeküste hätte der Standort Bremerhaven damit ein Alleinstellungsmerkmal.
Als GRÜNE fordern wir daher, im Zuge der Planungen des Energy Port Bremerhaven
gemeinsam mit Unternehmen und Forschungseinrichtungen ein Konzept für ein „Life Cycle Innovation Hub“ mit Schwerpunkt Offshore-Rückbau und -Recycling zu entwickeln,
Kombinationsmöglichkeiten mit Recyclingbedarfen aus anderen Branchen zu suchen und entsprechende Produkt- und Verfahrensinnovationen strategisch zu verfolgen,
bei der Schaffung eines wasserseitigen Zugangs die baulichen Eingriffe in die naturschutzrechtlich höchstsensiblen Bereiche der Weser maximal zu reduzieren und für eine hochwertige Kompensation zur substanziellen Stärkung des Arten- und Naturschutzes an anderer Stelle zu sorgen,
einen Teil der zu entwickelnden Flächen im Südlichen Fischereihafen für ein solches Hub zu reservieren und dabei auch Erweiterungsflächen vorzuhalten, damit neu entwickelte Verfahren im Zuge des stark steigenden Rückbaubedarfs ab Mitte der 2030er Jahre vor Ort in entsprechenden Anlagen Anwendung finden können,
die immissionsschutzrechtlichen Belange der angrenzenden Siedlungsgebiete zu berücksichtigen und auf Erfahrungswerte bei der Reduktion von Lärm- und Staubemissionen in den bremischen Industriehäfen zurückzugreifen, um ein entsprechendes Genehmigungsverfahren erfolgreich durchzuführen,
auf Bundes- sowie europäischer Ebene Fördergelder einzuwerben und mit privatwirtschaftlichen Akteuren Gespräche über Finanzierungsmöglichkeiten zur Realisierung dieses Projekts zu führen.