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Die Zeit drängt: Fachkräfte für die Transformation in eine klimaneutrale Zukunft aus- und fortbilden
Die Unternehmen in Bremen und Bremerhaven stehen vor einer gewaltigen Aufgabe: Sie müssen ihre Geschäfte im laufenden Betrieb weiter digitalisieren und hinsichtlich der Energiewende modernisieren - ein prominentes Beispiel ist das Erreichen von Klimaneutralität in der Stahlproduktion. Kein Unternehmen bewegt sich dabei im luftleeren Raum, sie alle sind angewiesen auf entschlossenes politisches Vorgehen, z. B. bei dem kraftvollen Ausbau der Windkraft und der dazugehörigen Infrastruktur. Ob beim staatlichen oder unternehmerischen Handeln, für alle Investitionen in Klimaschutz und Klimaanpassung gilt: Sie werden nicht allein durch finanzielle Mittel realisiert, sondern durch kompetente und gut ausgebildete Arbeitnehmer*innen.
Über weite Teile des zurückliegenden Jahrzehnts wirkte das System der Dualen Ausbildung in Deutschland nahezu unerschütterlich, es galt als das Erfolgsmodell und Exportschlager. Heute sind die Bedeutung und die Qualität der Dualen Ausbildung weiterhin hoch, doch die unter dem Strich positive wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre hat zu einer politischen Bequemlichkeit geführt. Die dringenden Handlungserfordernisse und Investitionsbedarfe in das Duale System wurden zu lange vernachlässigt.
Schon weit vor Ausbruch der Corona-Pandemie sank der Anteil der ausbildenden Betriebe stetig – seit langem bildet nur jeder fünfte Betrieb selbst aus. Die Auswirkungen der Pandemie haben zwischenzeitlich nicht nur das Angebot an verfügbaren Ausbildungsplätzen weiter verknappt, sondern nachvollziehbarerweise auch viele junge Menschen verunsichert, und einige vom Weg der Dualen Ausbildung abgebracht. Inzwischen sind es nicht mehr die Unternehmen, die sich ihre Auszubildenden aus einer Vielzahl an Bewerber*innen aussuchen können. Vielmehr können es sich gerade junge Menschen mit Fachabitur oder Abitur erlauben, ihre potenziellen Arbeitgeber*innen gezielt auf deren Attraktivität und Zukunftsfähigkeit zu überprüfen und dabei durchaus hohe Maßstäbe anzulegen. In diesen Fällen wirken schlechte Ausbildungsbedingungen, eine niedrige Ausbildungsqualität, geringe Vergütungen oder Unklarheit über die spätere Übernahme abschreckend. Darüber hinaus „passt“ auch nicht jede Bewerber*in auf jede angebotene Ausbildungsstelle. Wir erleben daher zunehmend eine paradoxe Situation auf dem Ausbildungsmarkt: Ein großer Teil des Angebotes wird nicht ausgeschöpft, während zeitgleich noch tausende junge Menschen einen Ausbildungsplatz suchen. Im Ausbildungsjahr 2019/2020 standen den 59.948 registrierten unbesetzten Berufsausbildungsstellen bundesweit 29.349 unversorgte Bewerber*innen gegenüber
Insbesondere im Handwerk ist die Lage gravierend. Dabei ist gerade das Handwerk entscheidend für das praktische Gelingen in zentralen Zukunftsfeldern. Ein Neustart im Ausbau der Erneuerbaren Energien, die Modernisierung unserer Gebäude und die große Chance durch eine zukünftige Wasserstoffwirtschaft werden nur dann zu Jobmotoren, wenn genügend gut ausgebildete Fachkräfte verfügbar sind.
Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Handwerker*innen in der Transformation. Besonders energieeffiziente, komplexe Systeme und eine intelligente, vernetzte Gebäudetechnik müssen der neue Standard bei Bau und Sanierung werden. Das Fachpersonal muss dafür – auch um Vertrauen bei den Kund*innen in die neue Technik zu erzeugen – gut ausgebildet sein. Das beginnt in der Ausbildung und endet bei Weiterbildungen. Hohe Bildungsabschlüsse und spezifische Berufsschulbildung werden auch im Handwerk immer wichtiger.
Das Land Bremen muss daher mit aller Entschlossenheit handeln, bevor die Ausbildungskrise sich zu einer Fachkräftekrise auswächst, massive Standortnachteile produziert, die Zukunftschancen junger Menschen verengt und die dringend benötigte Transformation zur Klimaneutralität gefährdet.
Die Transformation gelingt also nur mit einer ausreichenden Anzahl an Fachkräften. Neben Weiterbildungs- und Qualifizierungsangeboten müssen dabei auch neue bzw. besonders benötigte Ausbildungsberufe gefördert werden. Junge Menschen suchen vermehrt nach Tätigkeitsfeldern, die einen tieferen Sinn erfüllen und als Berufszweig mit Zukunftschancen herausstechen. Dafür muss durch Informationskampagnen und Beratungsangebote sehr viel deutlicher vermittelt werden, in welchen Bereichen kluge Köpfe für eine erfolgreiche Transformation gebrauchtwerden – und in welchen nicht. Da das allgemeine Fachkräftepotenzial aufgrund des demografischen Wandels sinkt, ist eine Stärkung der Berufsorientierung in allen Altersgruppen von großer Bedeutung.
Zu den klimarelevanten Berufsfeldern gehören u.a., Elektriker*innen für smarte Systeme, aber auch Monteur*innen im Bereich der Elektromobilität oder Fahrzeugführer*innen. Insbesondere auch beim Ausbau der Wasserstoffwirtschaft könnten perspektivisch wichtige neue Arbeitsplätze in Bremen und Bremerhaven entstehen, wobei jede*r einzelne Arbeitnehmer*in zum aktiven Teil der Energiewende würde. Die damit verbundene enorme Nachfrage an Fachkräften bietet eine große Chance, ein Mangel an ebendiesen droht aber die Energie-, Mobilitäts- und Wärmewende sowie den Aufbau einer leistungsstarken Wasserstoffwirtschaft zu lähmen. Der Klimaschutz darf nicht vom Fachkräftemangel eingeschränkt werden. Wir brauchen Klimaexpert*innen in fast allen Gewerken. Vorhandene Fachkräfte müssen zudem auf neue Technik weitergebildet werden, Umschulungen in diesem Bereich sollten ebenfalls das Angebot der Fachkräfte erweitern. Insbesondere im Dachdecker-Handwerk, dem Sanitär-, Heizungs- und Klima-Handwerk und dem Elektro-Handwerk, aber auch dem Hoch- und Tiefbau und dem Maler*innen-Handwerk fehlen Fachkräfte. Diese werden benötigt, um im Bereich des Neubaus und vor allem bei der Sanierung von Bestandsgebäuden den hohen Endenergieverbrauch in diesem Bereich deutlich zu senken.
Es wird auf dem Weg zur Klimaneutralität zu einem Wandel der wirtschaftlichen Aktivitäten kommen, der Rückwirkungen auf die Arbeitskräftenachfrage in vielen Bereichen der Wirtschaft hat – es wird auch Branchen geben, deren Bedeutung im Zeitlablauf abnehmen wird. Aufgrund von voranschreitenden Digitalisierungs- und Automatisierungsprozessen nimmt zudem in einigen Branchen der Fachkräftebedarf ab. Aufgrund dieser Faktoren ergibt sich ein Potenzial an Erwerbstätigen, das durch Qualifizierung und Weiterbildung bei gleichzeitigem Branchenwechsel auch einen Beitrag zur Verringerung von Fachkräfteengpässen in den Bereichen liefern kann, die durch die Investitionen für ein klimaneutrales Deutschland begünstigt werden. Es gilt also, die berufliche Mobilität zu erleichtern, um auch über Berufs- und Branchenwechsel mehr Fachkräfte für den ökologischen Umbau zu gewinnen.
Gleichzeitig können wir es uns nicht mehr erlauben, motivierte Schulabgänger*innen, die sich für klimaschutzrelevante Berufe interessieren, im Laufe ihrer Ausbildung zu verlieren. Auch wenn Vertragsauflösungen während der Ausbildung nicht vollkommen vermieden werden können, ist die Quote bei spezifischen handwerklichen Berufen überdurchschnittlich hoch (z. B. Bautenbeschichter*in 47,8 Prozent). Während die Daten mit Vorsicht betrachtet werden sollten, wäre eine genauere Analyse der Gründe ein wichtiger erster Schritt. Es braucht zudem eine frühzeitige Förderung von Berufsorientierung bereits in der allgemeinbildenden Schulzeit und bei Umorientierungswünschen. Auch die hohe Studienabbrecher*innen-Quote besonders bei MINT-Fächern kann ein Potenzial für Ausbildungsberufe sein, wenn man die Menschen richtig abholt. Zudem ist eine individuelle Unterstützung und Begleitung von Auszubildenden und Betrieben während der Ausbildungszeit notwendig.
Eine elementare Bedeutung wird also die Mobilisierung junger Menschen für eine Duale Ausbildung in Industrie- und Handwerksberufen haben. Für Bremen braucht es dafür aus unserer Sicht ein zentrales Berufsorientierungs-Programm.
Darüber hinaus stellen die technologische Entwicklung und die Klimatransformation neue hohe Anforderungen an diverse Ausbildungsberufe. Notwendig ist daher dringend die inhaltliche und strukturelle Neuausrichtung von Ausbildungsberufen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat bspw. für den Bereich Gebäudesanierung diverse Empfehlungen vorgelegt, wie
- die Einführung eines Schwerpunkts für erneuerbare Heizsysteme in den Ausbildungsverordnungen und Rahmenlehrplänen der Ausbildung zur Anlagenmechaniker*in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik;
- die Entwicklung neuer Ausbildungsformate, wie zum Beispiel eine Ausbildung zur Bausanierer*in;
- Entwicklung neuer Spezialisierungsoptionen während einer Ausbildung, bspw. eine Spezialisierung auf Gebäudedämmung und Dämmtechnik in der Ausbildung zur Maler*in;
- Aufwertung der Ausbildung in allen Handwerksberufen im Bauhaupt- und Ausbaugewerbe durch die Integration von detaillierten fachlichen Aspekten der energetischen Gebäudesanierung in die Ausbildungsverordnungen und Rahmenlehrpläne der Berufsschulen.
Elementare Bedeutung wird also die Mobilisierung junger Menschen für eine Duale Ausbildung in Industrie- und Handwerksberufen haben, aber auch die Qualität der Ausbildung muss mit dem fortschreitenden Wandel Schritt halten können.
Von hoher Priorität ist dabei die bauliche Sanierung und Modernisierung der Berufsschulen. Der Erneuerungsbedarf geht dabei weit über die Bausubstanz hinaus: Die zukünftigen Fachkräfte in einer sich immerzu digitalisierenden Welt müssen entsprechende technologische Rahmenbedingungen in den Schulstätten ihrer Ausbildung vorfinden. Die Steigerung der Ausbildungsqualität wird auch in hohem Maße von der Zahl und Qualifikation des zur Verfügung stehenden Lehrpersonals abhängen. Entwickelt sich die Personallücke so negativ wie befürchtet, werden die Attraktivität und der fachliche Anspruch der Dualen Ausbildung dauerhaft beschädigt. Nicht nur die Sicherung des zukünftigen Lehrpersonals, auch die Weiterqualifizierung des bestehenden Fachpersonals muss den Anforderungen neuer Zukunftstechnologien gerecht werden. Nicht zuletzt über die Vernetzung zwischen Berufsschulen und hochmodernen Ausbildungsbetrieben muss ein Wissenstransfer zwischen Theorie und Praxis weiter angeschoben werden. Die angemessene Förderung und Ausstattung der Berufsschulen muss auch ein Zeichen an junge Menschen sein: Die Duale Ausbildung lohnt sich, sie bietet gute Zukunftsaussichten in teils wegweisenden Berufen und ist einem Studium gleichwertig.
Die Duale Ausbildung lebt derzeit von der Substanz der letzten Jahre. Die Erhöhung von Attraktivität und Qualität der Dualen Ausbildung ist daher ebenso wichtig wie die Förderung von neuen, zukunftsweisenden Berufsfeldern. Das gilt insbesondere für die Ansprache von Frauen: Die Vertragsauflösungsquoten von Ausbildungsverträgen im Handwerk fallen bei Frauen im Vergleich höher aus (Frauen: 38,6 Prozent, Männer 34,4 Prozent). Geschlechterstereotypen müssen aufgelöst und neue Berufsbilder von alten geschlechtlichen Denkmustern losgelöst werden. Auch sind flexiblere Arbeitszeitmodelle in den Betrieben ein Weg, um mehr weibliche Auszubildende für Ausbildungsberufe zu gewinnen.
Auch erleben Personen mit dem statistischen Merkmal Migrationshintergrund weiterhin Diskriminierung auf dem Ausbildungsmarkt. Es zeigen sich auch bei gleichen Schulabschlüssen und unter Berücksichtigung vielfältiger weiterer Einflussgrößen Nachteile beim Zugang zu beruflicher Ausbildung. Die Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen und die Unterstützung bei Bewerbungsverfahren können hier helfen.
Das Signal der Gleichwertigkeit von Auszubildenden und Studierenden muss an den Lernorten ablesbar sein. Als eine von zwei Säulen der Dualen Ausbildung müssen die Berufsschulen wieder in die Lage versetzt werden, dieses Erfolgsmodell weiter zu tragen. Daher setzen wir uns für Investitionen in die Sanierung und Modernisierung der beruflichen Lernorte ein. Mit den notwendigen Grundlagen wollen wir Berufsschulen zu Transformationszentren zu machen, die eine Aus- und Weiterbildung in neuen Berufsfeldern von Beginn an ermöglichen.
Für die schnelle klimarelevante Modernisierung braucht es Gewerke-übergreifende Bündnisse – nicht nur, um gemeinsam die Ausbildung zu gestalten und eine Strategie für Transformation zu erarbeiten, sondern auch, um kleinen Betrieben, die statistisch weniger ausbilden und weniger Bewerbungen erhalten, unter die Arme zu greifen. Wir unterstützen daher die Gründung von regionalen Fachkräfteallianzen im Bereich Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, um die Aus- und Weiterbildung in Klimaschutztechniken und die Neuausrichtung des Baugewerbes auf die Klimatransformation zu beschleunigen.
Der Bremer Senat ist aus unserer Sicht aufgefordert, zusammen mit den Hochschulen und den Kammern zu ermitteln, welche Fachkräfte in welchen Berufen zur Umsetzung der Klimaschutzmaßnahmen benötigt werden, eine Prognose zu erstellen, in welchem Umfang bei den jeweiligen Berufen wie viel Nachwuchs benötigt wird und für die Berufe, für die Nachwuchs dringend erforderlich wird, in einer Aktion „Klimaschutz zum Beruf machen“ mit guten Argumenten zu werben.
Bremen, den 29. März 2022