Flüchtlingspolitik | Integration, Migration und Vielfalt
„Damit aus Flüchtlingen Bürgerinnen und Bürger werden“
„Damit aus Flüchtlingen Bürgerinnen und Bürger werden“
Leitlinien einer grünen Integrationspolitik im Land Bremen
Aktuell erleben wir die stärkste Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg. Fast 60 Millionen Menschen sind auf der Flucht und suchen Schutz vor Krieg, Verfolgung und existenzieller Not. Für Ende 2015 rechnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit 800.000 Flüchtlingen in Deutschland. Davon nimmt das Land Bremen entsprechend seiner Größe 12.000 Menschen auf. Auch für die Jahre 2016 und 2017 muss von den gleichen hohen Zugangszahlen ausgegangen werden. Die damit verbundenen Aufgaben der Aufnahme und Integration sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe: sie wird von den Kommunen und der Zivilgesellschaft in Deutschland organisiert. Kommunen und Länder tragen auch die finanzielle Hauptlast. Im Jahr 2015 hat Bremen dafür 200 Mio. € aufgebracht. Aus dem Bundeshaushalt kommen dafür gerademal 20 Mio. € als Unterstützung in Bremen an. Eine Aufstockung durch den Bund ist unerlässlich. Der Bund muss die Kluft zwischen den Verpflichtungen und den finanziellen Möglichkeiten der Kommunen schließen. Wir fordern daher einen nationalen Integrationspakt des Bundes für Länder und Kommunen. Der Bund muss sich viel stärker an der Integration von Flüchtlingen als bisher beteiligen. Die mit den zu uns kommenden Menschen wachsende Vielfalt von Herkunft, Sprache, Religion und kulturellem Hintergrund wird unsere Städte Bremen und Bremerhaven verändern. Es ist eine große Chance für unsere alternde Gesellschaft. wenn wir die Voraussetzungen für Teilhabe und Integration in unserer Gesellschaft und bei den zu uns Geflüchteten schaffen. Gleichzeitig müssen wir uns den berechtigten Sorgen in der Gesellschaft stellen. Die Integration und das wirkliche Ankommen in Bremen und Bremerhaven von mehreren zehntausend Flüchtlingen in den kommenden Jahren wird nicht durch Verwaltungshandeln oder die Politik allein gelingen, sondern ist Aufgabe und Herausforderung für alle Menschen in Bremen und Bremerhaven. Tagtäglich stellen sich Bremen und Bremerhaven der Herausforderung, den Schutzsuchenden eine möglichst gute Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Die dezentrale Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, wie sie im Gegensatz zu anderen Bundesländern in Bremen praktiziert wird, wie auch die anschließende Vermittlung in den (privaten) Wohnungsmarkt stellen einen wichtigen Schritt zur Integration der Neubürgerinnen und Neubürger dar. In der Nachbarschaft findet der erste Kontakt mit den Bremerinnen und Bremern statt. Wenn auch im kommenden Jahr wieder 12.000 Menschen in unsere Städte kommen sollten, wollen wir vorbereitet sein, so dass dann keine Unterbringung in Zelten und Turnhallen mehr nötig ist. Deshalb werden im kommenden Jahr im großen Stil Übergangswohnheime gebaut. Bremen braucht eine Integrationsstrategie, die sich der Herausforderung stellt, die hohe Anzahl der geflüchteten Menschen dauerhaft und zukunftssicher in Bremen und Bremerhaven zu integrieren. Dies kann nur gemeinsam mit allen Menschen in Bremen und Bremerhaven gelingen. Die Flüchtlinge brauchen gleichberechtigte Beteiligungs- und Teilhabechancen. Um diese große Aufgabe zu meistern müssen innovative und unkonventionelle Wege beschritten werden. Der mit der Bewältigung der Aufgabe einhergehende gesellschaftliche Wandel wird Probleme mit sich bringen, es gibt Ängste und Sorgen wie Bremen und Bremerhaven diesen Wandel schaffen werden. Gerade im Umgang mit Zuwanderinnen und Zuwanderern offenbart sich das Selbstverständnis unserer Stadtgesellschaften. Wesentlich ist das Eintreten für eine an den Grund- und Menschenrechten orientierte Gestaltung des gesellschaftlichen Miteinanders im Land Bremen. Dazu sollen die folgenden integrationspolitischen Leitlinien beitragen. 1) Integration braucht Stadtentwicklung Bremen hat erfolgreich und frühzeitig Flüchtlinge aus den Übergangswohnheimen in normale Wohnungen vermittelt. So konnten weit über 3.000 Menschen ein eigenständiges Leben in einer anständigen Wohnung beginnen. Seit diesem Jahr ist aber klar: In Bremen muss rasch eine erhebliche Zahl von neuen bezahlbaren Wohnungen erstellt werden, und zwar nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle Menschen, die auf preiswerten Wohnraum angewiesen sind. a) Bremen muss bauen: Da die Zeit drängt, muss Bremen den größten Teil dieser Wohnungen auf Flächen bauen, die schon gut vorbereitet sind, also über Baurecht und Erschließung verfügen: zum Beispiel in der Überseestadt und im Wohnpark Oberneuland oder in der Gartenstadt Werdersee oder am Hulsberg. b) Kontinuierliche Weiterentwicklung nach Bedarf: Wir Grünen erwarten, dass der Senat die Planung ständig an der tatsächlichen Entwicklung der Zahlen und Erfahrungen überprüft und fortentwickelt. Falls sich im Jahr 2017 herausstellt, dass die Flächen für die erforderlichen Wohnungen nicht reichen, muss selbstverständlich auch mit der Planung und Erschließung neuer Flächen begonnen werden. c) Baurecht anpassen: Wir wollen analog zum niedersächsischen Landtag überprüfen, die gesetzlichen Grundlagen der Bauordnung so zu ändern, dass eine zügigere Errichtung von Flüchtlingsunterkünften ermöglicht wird. 2) Integration braucht Bildung Unser Leitbild ist eine inklusive Gesellschaft. Um Flüchtlingen eine aktive und selbstbestimmte Teilhabe an der Gesellschaft zu eröffnen, braucht es insbesondere gleichberechtigte Beteiligungs- und Teilhabechancen in den Bereichen Sprache, Bildung, Ausbildung und Arbeit. 2.1 Deutschförderung und Bildungszugängea) Alle Kinder mitnehmen – Kita-Ausbau fortsetzen: Integration fängt mit Bildung an. In den Kindertagesstätten werden Kinder von Anfang an unterstützt und gefördert, und Sozialkontakte werden aufgebaut. Kitas sind die entscheidenden Türöffner für den anschließenden Bildungsverlauf. Daher fordern wir den weiteren Ausbau von Kindertagesstätten, zusätzliches qualifiziertes Personal für die neuen Kitas und konzeptionelle Freiräume, um diesen anspruchsvollen Aufgaben gerecht zu werden. b) Öffnung der Integrationskurse für alle Flüchtlinge: Flüchtlinge „ohne gute Bleiberechtsperspektive“ werden derzeit von den Integrationskursen, die auch gesellschaftliche Orientierung als Unterrichtseinheiten beinhalten, ausgeschlossen. Die Verweildauer dieser Flüchtlinge sowie die mögliche spätere Zugangsberechtigung legen nahe, dass auch sie frühestmöglich Deutsch für die Bewältigung des Alltags und Kenntnisse über unsere Gesellschaft erlernen müssen. Der Bund muss die Kinderbetreuung während der Integrationskursteilnahme sicherstellen, da ansonsten vor allem Flüchtlingsfrauen vom Deutschspracherwerb abgehalten werden. c) Fachkräftemangel von „Deutsch als Zweitsprache“ (DAZ)-Lehrkräften abbauen: Für die Deutschkurse gibt es aktuell in Bremen lange Wartezeiten, da das Angebot nicht ausreicht. Grund dafür ist der hohe Bedarf an DAZ-Lehrkräften. Dem bundesweiten Fachkräftemangel muss daher dringend durch die Ausbildung neuer Lehrkräfte begegnet werden. Die Bremer Hochschulen müssen entsprechende Studienangebote ausbauen. Außerdem fordern wir den Senat auf, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Zulassungskriterien für DAZ-Lehrende gelockert werden. Anerkannte Weiterbildungseinrichtungen sollen die Möglichkeit erhalten, eigene Qualifizierungsangebote ad hoc anbieten zu können, um Dozentinnen und Dozenten qualifizieren zu können. Desweiteren müssen die prekären Arbeitsverhältnisse der DAZ-Lehrkräfte zu Gunsten sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse abgebaut werden. Nur so kann ein qualifizierter Unterricht nachhaltig gesichert werden. Zudem fordern wir vom Bildungsressort ab sofort die priorisierte Einstellung von Referendaren/Referendarinnen und Lehrerinnen und Lehrern mit DAZ-Ausbildung in Bremen und Bremerhaven. d) Vor- bzw. Willkommensklassen weiter ausbauen und personell stärken: Die Vor- bzw. Willkommensklassen, die für schulpflichtige Schülerinnen und Schüler angeboten werden, müssen an allen Schulformen angeboten werden. Sie dienen dem Erlernen der deutschen Sprache und legen die Grundlage für den Unterricht in den Regelklassen. Die Vorkurse sind entscheidend für einen erfolgreichen (Quer-)Einstieg ins Bremische Schulsystem und Grundstein für den Bildungsverlauf. Daher muss es Ziel sein, dass die Schulen personell und räumlich in die Lage versetzt werden, je nach Bedarf auch weitere Vor- bzw. Willkommensklassen einrichten zu können. Aktuell steht nicht ausreichendes Personal an den Schulen zur Verfügung, so dass Angebote auch von nicht dafür qualifizierten Lehrkräften eine Hilfe darstellen. Dass diese Arbeit auch von weniger qualifizierten Lehrkräften und Pädagoginnen und Pädagogen geleistet wird, ist aus grüner Sicht nur kurzfristig vertretbar. Das grundsätzliche Ziel muss aber sein, schnellstmöglich qualifiziertes Personal auszubilden und einzusetzen! e) Interkulturelle Fortbildungen für LehrerInnen: Die Integration der Schülerinnen und Schüler mit Fluchtgeschichte in die Regelklassen, bei oftmals noch nicht ausreichenden Deutschsprachkenntnissen, muss von den Lehrkräften aufgefangen werden, obwohl sie i.d.R. keine entsprechende Aus-/Fortbildungen dafür haben. Weiterbildungsangebote für Lehrende in interkultureller Kompetenz oder interkulturellem Lernen sind dringend nötig, um sowohl den Bedürfnissen der heterogenen Schülerschaft als auch den oftmals sich selbst überlassenen Lehrenden gerecht werden zu können. Wir fordern einen deutlichen Ausbau entsprechender Fortbildungen durch das LIS, LFI Bremerhaven und das AFZ. f) Allgemeine Berufsschule (ABS) in ihrem besonderen Auftrag unterstützen: Den Berufsschulen kommt bei der Integration der Flüchtlinge eine besondere Rolle zu. Sie haben den Auftrag, alle Schülerinnen und Schüler aufzunehmen, die schulpflichtig sind. Die Anzahl der jugendlichen Flüchtlinge macht an der ABS bereits jetzt ca. die Hälfte der Schülerschaft aus. Da die bisherigen Kapazitäten der ABS hierfür bei weitem nicht ausreichen, wurden zahlreiche Dependancen eingerichtet. Da diese Entwicklung kontinuierlich fortschreitet, werden dringend weitere Plätze benötigt. Neben den räumlichen und personellen Herausforderungen, die diese Entwicklung mit sich bringt, kommen viele Schülerinnen und Schüler als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und/oder traumatisiert in die Schule. Dies stellt die Schule vor eine weitere anspruchsvolle Herausforderung. Wir fordern, dass den Schulen kurzfristig aus den hierfür eingerichteten Töpfen zusätzliche Mittel für die Einstellung von weiteren sozialpädagogischen Fachkräften zur Verfügung gestellt werden. Mittelfristig erwarten wir, dass vom Ressort ein Konzept entwickelt und umgesetzt wird, das die Abschmelzung der zahlreichen Dependancen hin zu möglichst nur zwei entsprechend großen Standorten für die ABS vorsieht. g) Schulabschlüsse durch mehr Flexibilität ermöglichen: Ziel muss es sein, dass alle Schülerinnen und Schüler die Schule erfolgreich durchlaufen und einen Schulabschluss erzielen können, der sie zur Berufsausbildung oder zum Studium befähigt. Praxiserfahrungen mit geflohenen Schülerinnen und Schülern zeigen, dass dies je nach Alter zum Zeitpunkt der Ankunft in Bremen, je nach Wartefrist bis zur Aufnahme des Schulbesuches und je nach schulischer Vorqualifikation teilweise zu Schwierigkeiten führt. Einige, die erst spät, aber sehr erfolgreich ins bremische Bildungssystem eingestiegen sind, werden nicht in gymnasiale Oberstufen aufgenommen, da für sie keine Schulpflicht mehr besteht. Anderen, die noch schulpflichtig sind, aber z. B. die Schule abgebrochen haben, bleibt die Ausbildungsgarantie verschlossen, sie „landen“ stattdessen in schulischen Übergangsmaßnahmen. Wir fordern hier individuelle Lösungen, damit beide Gruppen ihre Schullaufbahn fortsetzen und erfolgreich beenden können. Wo nötig, sollten innerhalb der generellen Bestimmungen für die Schulpflicht durch Ausnahmeregelungen flexible Lösungen gefunden werden. h) Kreative Potentiale fördern und nutzen: Kultur trägt maßgeblich zu Integration und Partizipation bei. Kulturprojekte bauen vor Ort Brücken zwischen den Menschen und fördern die Integration in den Stadtteilen. Wir wollen die Möglichkeiten verbessern, dass Geflüchtete ihre Kreativität und ihren kulturellen Hintergrund in ihrer neuen Heimat einbringen können. Zudem bringt die gemeinsame künstlerische Aktivität Menschen unterschiedlicher sprachlicher und kultureller Herkunft einander näher und trägt zum gegenseitigen Verständnis bei. 2.2. Ausbildung, Arbeit, Wissenschaft
a) Sprachkurse für den Arbeitsmarkteinstieg – Lücke zwischen B1- und B2-Niveau schließen: Nach Abschluss des Integrationskurses erreichen die meisten Flüchtlinge das Sprachniveau B1. Damit können sie einfache Gespräche auf Deutsch führen und den Alltag bewältigen. Für eine Arbeitsaufnahme ist diese Sprachkompetenz nicht ausreichend, hier wird das Sprachniveau B2 vorausgesetzt. Aktuell besteht aber kein reguläres Kursangebot, das diesen Bedarf deckt. Es muss daher dringend vom Senat am Aufbau solcher Angebote gearbeitet werden, um den für den Arbeitsmarktzugang entscheidenden Bedarf zu stillen.
Berufssprache Deutsch: Für die Aufnahme einer qualifizierten Erwerbstätigkeit ist die „Berufssprache Deutsch“ ein maßgeblicher Faktor dafür, dass Menschen mit Migrationshintergrund einen Arbeitsplatz erhalten. Daher ist die Nachfrage nach berufsbezogenen Sprachkursen aktuell deutlich höher als das Kursangebot. Diese so genannten ESF-BAMF-Kurse müssen dringend finanziell ergänzt werden. Gleichzeitig ist „Berufssprache Deutsch“ ein entscheidender Qualifizierungsbaustein innerhalb der Anerkennungspraxis von ausländischen Berufsabschlüssen und sollte hier als Regelangebot verankert werden. b) Anerkennungen von ausländischen Abschlüssen durch Nachqualifizierung steigern: Ergebnisse aus der Praxis zeigen, dass die Gesetzgebung (Land und Bund), die erfreulicherweise nicht an eine Staatsangehörigkeit geknüpft ist, alleine in nur sehr geringem Maße zur Anerkennung von Abschlüssen führt. Stattdessen werden Auflagen zur Nachqualifizierung benannt, wie z. B. Berufssprache oder fachliche Kompetenzen, für die es aber kaum ein Angebot gibt oder diese nicht bekannt sind. Die Weiterbildungsberatung, die als Clearingstelle im Anerkennungsverlauf gedacht ist, muss dahingehend ertüchtigt werden, um ihrer Zielsetzung gerecht zu werden. Es müssen mehr mehrsprachige Fachkräfte eingestellt werden, die die Betroffenen durch den undurchsichtigen Zuständigkeitsdschungel bis zur Anerkennung begleiten. Für Zuwanderinnen und Zuwanderer mit wenig Einkommen, die die Kosten der Nachqualifizierung nicht ohne weiteres tragen können, braucht Bremen analog zu Hamburg ein Stipendienprogramm. c) Wissenschaft: Zehntausende der jungen Geflüchteten sind für die Aufnahme eines Studiums qualifiziert oder haben bereits erste Studienerfahrungen oder -abschlüsse. Sie alle hoffen auf eine schnellstmögliche Perspektive. Es ist dringend notwendig, ihnen zügige Wege an die Bremer Hochschulen zu eröffnen, um ihre Qualifikationen zu sichern und weiter zu verbessern. Immer mehr Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützen die Neuankömmlinge – in Bremen durch das viel beachtete Programm InTouch. Dieses wichtige Engagement geht einher mit vielen Hilfsangeboten von Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Damit dieses Engagement weitergeht und nachhaltig wirken kann, braucht es einen „Chancengipfel“ von Bund, Ländern, Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen und weiteren Akteuren. Auf dem Treffen soll eine Willkommensagenda verabschiedet werden, um Flüchtlingen klare Perspektiven in den Hochschulen zu schaffen. Viele dieser Aufgaben übernehmen die Bremer Hochschulen bereits, aber es bleibt viel zu tun. Hier ist dringend die Unterstützung des Bundes gefordert, vor allem bei der Finanzierung des Lebensunterhalts während des Studiums. Flüchtlinge und Asylsuchende müssen schnelleren Zugang zur Ausbildungsförderung erhalten. Wer die Einschreibung in eine Hochschule schafft, darf nicht an der Studienförderung scheitern. Wir gehen in Bremen von ca. weiteren 500 studierfähigen und -willigen jungen Geflüchteten aus. Damit sie eine gute Perspektive an unseren Hochschulen erhalten können, brauchen wir:
- die unbürokratische Anerkennung von Hochschulzugangsberechtigungen des Herkunftslands
- die zügige Bestandsaufnahme der individuellen Studierfähigkeit von geflüchteten Studieninteressierten, wenn ihnen schriftliche Nachweise fehlen
- die Ausweitung passgenauer studienvorbereitender oder studienbegleitender Sprachkurse sowie Sprachtests an oder im Umfeld von Hochschulen
- Ausbau von sozialen und psychologischen Beratungsangeboten
- Ausbau fachsprachlicher und wissenschaftsmethodischer Studienvorbereitung in Vorkursen
- Ausweitung der Stipendienangebote für Flüchtlinge
- stärkere Öffnung des BAföG für Flüchtlinge
- Umwidmung des Deutschlandstipendiums speziell für Flüchtlinge
- Evaluation des Hochschulpakts III und Prüfung, in welcher Höhe der Bund
- zusätzliche Mittel bereitstellen muss, um genügend zusätzliche Studienplätze für Flüchtlinge zu schaffen
- die Ermöglichung des aufenthaltsrechtlichen Statuswechsels für Asylsuchende, Geduldete, Auszubildende und Studierende vor Abschluss des Studiums, sofern die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Zweck erfüllt sind. d) Junge Flüchtlinge ausbilden und qualifizieren: 43% der Flüchtlinge, die in Deutschland leben, sind zwischen 16 und 30 Jahre alt (2014). Die Altersstruktur zeigt, dass dem Bildungs- und Ausbildungssystem eine Schlüsselrolle zukommt. Die Abfrage der vorhandenen schulischen und beruflichen Qualifikationen muss frühestmöglich erfolgen. Bremen hat mit dem Projekt „Zukunftschance Ausbildung“ einen ersten wichtigen Schritt unternommen, um Flüchtlingen eine Lebensperspektive zu geben. Die von der Handelskammer daraufhin entwickelte „Ausbildungsoffensive“ für Flüchtlinge ist ein guter Ansatz, um junge Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Es ist begrüßenswert, dass sich 212 Unternehmen im Land Bremen (davon 26 in Bremerhaven) bereitgefunden haben, sich zu beteiligen und so bereits 700 Ausbildungs- und Praktikumsverträge in den Bereichen Hotel, Gastronomie, Lagerlogistik, Mechatronik und anderen kaufmännischen Bereichen abgeschlossen werden konnten. Schwierigkeiten bestehen jedoch in der Erfassung der in Frage kommenden Jugendlichen. Sie müssen zukünftig automatisch bei der Agentur für Arbeit als ausbildungssuchend auftauchen. e) Angebote der Jugendberufsagentur auf die Zielgruppe der Flüchtlinge ausrichten: Die Beraterinnen und Berater der Jugendberufsagentur müssen interkulturell qualifiziert werden, um ein Vertrauensverhältnis unter Beachtung der Fluchtgründe und Auswirkungen herstellen zu können. Mittels eines Profilings müssen die Fähigkeiten der Jugendlichen erfasst und Bildungsverläufe aufgezeigt werden. Bereits in den Vorklassen müssen junge Menschen auf die Möglichkeit einer Ausbildung aufmerksam gemacht und an die Beratung der Jugendberufsagentur vermittelt werden. Aber auch hier ist das Sprachproblem nicht zu vernachlässigen: Die Deutschkurse müssen neben der Alltagssprache auf eine Verständigung in der Arbeitswelt ausgerichtet sein, damit das erste Vorstellungsgespräch keine zu große Hürde ist. Der vertiefende und ausbildungsbegleitende Spracherwerb muss ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung sein. Hier ist zu prüfen, welche Finanzierungsmodelle – sei es anteilig von den Unternehmen selbst oder komplementär ergänzend durch EU- und Landesmittel – zum Einsatz kommen können. f) Vorrangprüfung abschaffen: Die Vorrangprüfung schreibt vor, dass ein freier Arbeitsplatz nur vergeben werden kann, wenn kein deutscher oder kein europäischer Staatsbürger für die Aufnahme der Tätigkeit in Frage kommt. Diese Schlechterstellung muss schnellstmöglich über eine Bundesratsinitiative abgeschafft werden, da sie Flüchtlinge maßgeblich bei der beruflichen Integration einschränkt und ihnen damit ein selbstbestimmtes Leben erschwert wird. g) Arbeitsvermittler im Jobcenter einstellen und qualifizieren: Das Jobcenter muss unverzüglich die offenen Stellen, die für die berufliche Integration von Flüchtlingen vom Bund finanziert werden sollen, besetzen. Die Arbeitsvermittlerinnen und -vermittler müssen interkulturell geschult werden. Zudem muss sich das Jobcenter insgesamt der Zielgruppe der Flüchtlinge öffnen, in dem es mehrsprachig Informationsbroschüren sowie einen Dolmetscher-Pool vorhält. 2.3 Gesundheitsversorgung und -förderung
Die Menschen, die vor Not und Vertreibung zu uns kommen, sind per se in keinem schlechteren Gesundheitszustand als die übrige Allgemeinbevölkerung. Allerdings zeigen Flucht und Vertreibung ihre Folgen, körperlich und vor allem auch seelisch. a) Die Erstuntersuchung und Komplettierung des Impfstatus müssen sichergestellt werden. Hierfür muss das Gesundheitsamt entsprechend ausgestattet werden, und es muss geeignete Räume und Abläufe geben, damit die haupt- und ehrenamtlichen medizinischen Fachkräfte ihre Arbeit auch gut machen können. Die Untersuchungsergebnisse, der Impfstatus und die Behandlungsempfehlungen müssen zuverlässig dokumentiert und angemessen an Weiterbehandelnde kommuniziert werden. b) Die Gesundheitskarte in Bremen hat sich umfänglich bewährt! Die zügige Ausgabe muss gewährleistet sein. c) Das psychotherapeutische Hilfsangebot muss dringend ausgebaut werden. Refugio macht ein hervorragendes Angebot für die vielen Geflüchteten, die durch ihre Verfolgungs- und Fluchtgeschichte traumatisiert oder anders seelisch verwundet sind. Der Bedarf geht aber weit über die derzeitigen Kapazitäten hinaus. Mittelfristig müssen Geflüchtete Zugang zum psychotherapeutischen Regelsystem erhalten. Hierfür müssen geeignete Dolmetscherdienste und muttersprachliche Psychotherapie etabliert werden. d) Medizinische und psychologische Fachkräfte müssen schnell anerkannt werden. Menschen, die medizinische oder psychologische Qualifikationen im Heimatland erworben haben und als Flüchtlinge zu uns kommen, sollen rasch die Möglichkeit erhalten, ihre beruflichen Fähigkeiten auch einsetzen zu können. 2.4 Interkulturelle Öffnung der Verwaltung
Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen steht die öffentliche Verwaltung vor besonderen Herausforderungen. Bremen hat bereits reagiert und schafft zusätzliche Stellen im öffentlichen Dienst. Unser Ziel ist es, weiterhin einen hohen rechtsstaatlichen Standard sicherzustellen. Gleichzeitig muss es aber auch die Aufgabe der Verwaltung sein, die Verfahren so zu gestalten, dass diese verständlich und nachvollziehbar sind. a) Bremer Behörden und Ämter benötigen einen Dolmetscher-Pool: Um Sachverhalte und Entscheidungen der Verwaltung verständlich mitzuteilen, benötigt Bremen einen Pool an Sprachmittlern und Sprachmittlerinnen. Dieser Pool muss zentral abrufbar sein, eine Vielfalt an Sprachen aufweisen und insbesondere weibliche Sprachmittlerinnen aufführen, um den Belangen von geflüchteten Frauen nachkommen zu können. Außerdem treten wir für kultursensible Dolmetscherdienste in den Stadtteilen ein, die von sozialen Einrichtungen und Beratungsstellen abgerufen werden können. b) „Fachdienst Flüchtlinge und Integration“ um Lotsenfunktion ergänzen: Ab Anfang 2016 soll der neue „Fachdienst Flüchtlinge und Integration“ seine Tätigkeit aufnehmen. Diese Bündelung der bislang dezentralen, nach Wohnort zuständigen Ämter für Soziale Dienste ist ein wichtiger Baustein. Ergänzt werden muss dieser Fachdienst um Lotsen, die Flüchtlinge darüber hinaus informieren, welche anderen Ämter und Behörden darüber hinaus zuständig und wie sie zu erreichen sind. c) Weiterentwicklung des Personalentwicklungsplans: Bremen und Bremerhaven müssen den öffentlichen Dienst noch stärker für Migrantinnen und Migranten sowie Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger öffnen. d) Stärkung der interkulturellen Kompetenz der Verwaltungsmitarbeiter und mitarbeiterinnen: Mittels entsprechender verpflichtender Fortbildung muss die Diversity-Strategie weiter gestärkt werden. 3.) Integration braucht Teilhabe und Solidarität
Bremen und Bremerhaven sind weltoffene Städte. Mit dem Gesamtkonzept des Senats zur Aufnahme und Integration wurden bereits wichtige Weichenstellungen ressortübergreifend eingeleitet und finanziell abgesichert, ohne die die Flüchtlingsaufnahme unvorstellbar gewesen wäre. a) Einbeziehung und Selbstorganisation: Zentrale Bedingung des Gelingens der Integration der Neuankömmlinge ist die weitestmögliche Einbeziehung und Selbstorganisation der Flüchtlinge in den Unterkünften und bei allen sie betreffenden Angelegenheiten. Als erster Schritt zur Integration und als Möglichkeit, selbst etwas für andere Flüchtlinge zu tun, können auch Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge dienen, die in den Unterkünften bei der Versorgung von anderen Flüchtlingen helfen können. b) Zivilgesellschaftliches Engagement stärken: Eine wichtige Basis für das Ankommen und die Integration der Flüchtlinge stellen Bremerinnen und Bremer mit eigener Migrationsbiografie dar. Die Migrations- und Integrationsforschung belegt, dass Migrantencommunities eine sehr wichtige Brückenfunktion übernehmen, um Neubürgerinnen und Neubürger in die aufnehmenden Quartiere und Strukturen einzuführen. Dank ihrer Sprachkompetenz, Kenntnisse der hiesigen Werte und Gesellschaftsformen und Erfahrungen mit Integrationsverläufen stellen sie ein hilfreiches Netzwerk für Menschen dar, die erst seit kurzer Zeit in Bremen leben. Diese wertvolle Arbeit kann nicht ausschließlich ehrenamtlich erfolgen. Angebote für schon seit längerem hier lebende Migrantinnen und Migranten dürfen dabei nicht vernachlässigt werden, sondern müssen zeitgleich mit denen der Neuzuwanderer und Neuzuwanderinnen stattfinden. c) Offene Kinder- und Jugendarbeit als Baustein einer ganzheitlichen Bildung: Fast jeder dritte Mensch mit Fluchtbiografie ist jünger als 17 Jahre alt (2014). Daher ist eine Arbeit mit jungen Menschen in der offenen Kinder- und Jugendarbeit und der Jugendförderung unerlässlich. Die Träger der offenen Kinder- und Jugendarbeit öffnen sich bereits im Rahmen ihrer bisherigen Möglichkeiten dieser neuen Zielgruppe. Diese Angebote sollen ausgeweitet und finanziell abgesichert werden, insbesondere auch mit dem Blick auf kulturspezifische Jungen- und Mädchenarbeit. Es ist sowohl notwendig wie auch wünschenswert, dass gemeinsam mit der außerschulischen, politischen und schulischen Bildungsarbeit Strategien und Angebote entwickelt werden, um mit Hilfe einer vorurteilsbewussten Bildungsarbeit Rassismus, Ressentiments und Diskriminierung entschiedenen entgegenzutreten. d) Integration durch Sport: Der Sport übernimmt – auch mit seinem Ehrenamt – im gesellschaftlichen Kontext eine zentrale Rolle, dies insbesondere für Kinder und Jugendliche. Der Bremer Sport hat sich von Beginn an sehr engagiert, Flüchtlinge in ihre Sportangebote zu integrieren. Dieses Engagement soll unterstützt und finanziell abgesichert werden. Dies ist auch für eine enge Zusammenarbeit mit den Schulen von zentraler Bedeutung. e) Entwicklungsplan Partizipation und Integration zum Steuerungsinstrument weiterentwickeln: Seit Jahrzehnten wird die Bremer Integrationspolitik immer wieder vor die Frage gestellt, wie Integration gemessen werden kann. Trotz guter Ansätze ist es nicht gelungen, ein Integrationsmonitoring zu implementieren, das den Erfolg oder auch Nicht-Erfolg von Projekten verifiziert. Angesichts der Vergrößerung der Zielgruppe durch die Flüchtlinge und vor dem Hintergrund der Haushaltslage muss die Frage, wie sich Maßnahmen und Projekte auf den Integrationsverlauf auswirken, erneut auf die Tagesordnung des Senats. Der Entwicklungsplan Partizipation und Integration muss weiterentwickelt werden. Die bisherigen Ansätze und Zielsetzungen von Projekten, die bisher im Entwicklungsplan rein deskriptiv bleiben, müssen quantitative und qualitative Ergebnisse benennen. Nur so kann aus dem Entwicklungsplan ein Steuerungsinstrument werden, das auch Transparenz über die finanzielle Ausstattung der Projekte herstellt. f) Institutionelle Förderung auf neue Zielgruppe und Bedarfe ausrichten: Die institutionelle Förderung in Höhe von 180.000 Euro pro Jahr, die aus langer Tradition an fünf eingetragene Vereine geht, muss aus grüner Sicht ebenfalls überdacht werden. Welche Rolle übernehmen die Vereine gegenwärtig für die Zielgruppe der seit längerem in Bremen lebenden Migrantinnen und Migranten und mit welchen Ergebnissen? Welche Öffnung der Angebote für die Gruppe der Flüchtlinge kann erfolgen? Für eine Weiterentwicklung der Bremer Integrationspolitik ist es unerlässlich, eine ehrliche Bestandsanalyse durchzuführen, um daraus neue Strategien abzuleiten, die einer größeren, vielfältigeren Zielgruppe zugutekommt. Dieser Prozess sollte sorgsam mit den vielen Akteuren kommuniziert und verhandelt werden. Zuwanderung ist eine Ressource, die das Land Bremen als Chance aufgreifen und gestalten muss. Bremen, 13.11.2015