Arbeit

Arbeitsplätze erhalten und neue zukunftsfähige Beschäftigung schaffen

Systemrelevanz by Pablo_K (iStockphoto.com)

Systemrelevanz by Pablo_K (iStockphoto.com)

Das Coronavirus hat zu einer großen Solidaritätswelle in der Bevölkerung geführt und erhöht trotzdem die soziale Ungleichheit im Land. Vermögende können die Krise besser bewältigen als Menschen in Kurzarbeit oder Geringverdienende. Viele Arbeitnehmer*innen befinden sich seit Wochen in Kurzarbeit, haben große existenzielle Sorgen oder gar inzwischen ihren Job verloren. Auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern nimmt zu. Zusätzlich zum Job nun vielfach auch noch dauerhaft die Kinderbetreuung und das Homeschooling zu übernehmen, führt aktuell zu einer „Re-Traditionalisierung der Rollenverteilung“ und u.U. auch zum Verlust des Arbeitsplatzes. Schließlich rufen die vielen Corona-Infizierungen von EU-Saisonarbeitskräften einen längst bekannten Missstand in Erinnerung: Die Ausbeutung von EU-Arbeitnehmer*innen in der Fleischbranche, in der Landwirtschaft oder auf dem Bau.

Die Corona-Schutzmaßnahmen wirken wie ein Brennglas und zeigen mehr als deutlich die Fehlentwicklungen des Arbeitsmarktes, die prekären Beschäftigungsverhältnisse und die Krisenanfälligkeit vieler Branchen auf. Besonders deutlich wurde in den letzten Wochen die Ungleichbehandlung von Branchen, die zumeist zu Lasten von weiblichen Erwerbstätigen in sog. systemrelevanten Berufen geht. Die Einsicht, dass es eine grundlegende Neubewertung von Berufen und Branchen braucht, scheint sich dieser Tage endlich breiter durchzusetzen. Dreh- und Angelpunkt bleibt hier die Stärkung der Tarifbindung insb. im Einzelhandel und im Pflegebereich. Wir bleiben daher bei unserer Forderung und werden uns weiterhin dafür auf Bundeebene einsetzen: Es müssen endlich mehr Möglichkeiten für Allgemeinverbindlichkeitserklärungen insbesondere für den Einzelhandel und die Pflegeberufe geschaffen werden.

Rahmenbedingungen aus Berlin und Brüssel gut nutzen

Die Europäische Kommission begegnet den ökonomischen Verwerfungen der Corona-Pandemie mit diversen hilfreichen Instrumenten. Insgesamt hat sie ein Paket in Höhe von drei Billionen Euro und diverser Regelungslockerungen auf den Weg gebracht. Die Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts ermöglicht ein Höchstmaß an Flexibilität im Umgang mit sonst geltenden EU-Vorgaben. Auch die Lockerung der EU-Beihilferegeln gibt den Ländern mehr Spielraum bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Auswirkungen. Die andauernden Verhandlungen zum neuen EU-Finanzrahmen 2021-2027 müssen jetzt schnell abgeschlossen werden, hier kommt Deutschland im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft eine hohe Verantwortung zu, schließlich geht es um ein riesiges europäisches Wiederaufbauprogramm und einen billionenschweren EU-Finanzrahmen bis 2027. Es zeichnet sich ab, dass der Ausbau des Gesundheitssektors in den Mittelpunkt rückt und der European Green Deal sowie die Digitalisierung der europäischen Infrastruktur eine prominente Rolle einnehmen werden. Hier liegen für das Land Bremen wichtige Zukunftsperspektiven und potenziell Möglichkeiten, mit Hilfe der europäischen Rahmenbedingungen zukunftsfähige Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen.

Auch die Bundesregierung legte ein milliardenschweres Konjunkturprogramm vor. Für abhängig Beschäftigte besteht der Kern der Hilfen im Kurzarbeitergeld. Denn absehbar werden viele Beschäftigte noch lange Zeit in Kurzarbeit verbleiben. Die aktuellen Regelungen der Bundesregierung hierzu sind wenig hilfreich, denn sie verhindern bei Geringverdienenden die drohende existenzielle Not eben nicht. Wir setzen uns daher mit einer eigenen Initiative auf Bundesebene für eine Änderung der Kurzarbeiterregelung ein, nach der ab dem 1.Tag ein sozial gestaffeltes Kurzarbeitergeld gezahlt werden soll.

Um die Pandemie-Folgen abzufedern und im Land Bremen Beschäftigungsverhältnisse zu erhalten bzw. neue zu schaffen, braucht es ein detailgenau abgestimmtes Vorgehen. Die kluge Einbeziehung europäischer Hilfen und der Bundesprogramme sind von hoher Bedeutung, um im Land Bremen die Corona-Folgen für Beschäftigte so gut wie möglich abfedern zu können. Wir schlagen daher folgende Priorisierungen und Maßnahmen vor:

1. Europäische Impulse in Bremen jetzt einplanen

Die europäischen Finanzhilfen müssen jetzt zukunftsorientiert für das Land Bremen als innovativen Standort mit eingeplant und durch einen Komplementärtopf im Bremen Fonds vorgehalten werden. EU-Fördermöglichkeiten für Bereiche, in denen Bremen bereits gute erste Ansiedelungsschritte unternommen hat, müssen gezielt genutzt werden. Dies betrifft den Bereich der Gesundheitswirtschaft ebenso wie den der Digitalisierung oder der Stärkung der angewandten Forschung im Land Bremen.

a) Bremen als Standort für Gesundheitswirtschaft weiter ausbauen

Der Fokus, der durch die Pandemie verstärkt auf den Bereich der Gesundheitsversorgung gelegt wird, schafft aktuell sehr gute Chancen für das Land Bremen sich als Gesundheitsstandort dauerhaft zu etablieren. Die Gesundheitswirtschaft ist eine der Wachstumsbranchen im Land Bremen. Bereits heute sind mehr als 48.000 Menschen in der Gesundheitswirtschaft sozialversicherungspflichtig tätig, Tendenz steigend. Jetzt bietet sich die Chance, diesen großen und wichtigen Sektor zu stärken und mehr Beschäftigung sowohl in Pflegeberufen wie in hochtechnologisierten Forschungsbereichen zu schaffen. Für die forschungsbasierten Unternehmen, die v.a. in der Medizintechnik und der Biotechnologie exzellent aufgestellt sind und rund 1.000 hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beschäftigen, sollte eine spezifische Ausweitung von EFRE-Projektbeteiligungen gefördert werden.

Für den Pflegebereich heißt das, wir brauchen umgehend eine deutliche Attraktivierung der Pflegeberufe mit besserer Bezahlung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich. Wir wollen daher das Projekt ‚Gesundheitscampus‘ schnell angehen, um bei der akademischen Qualifizierung von Fachpersonal in den Gesundheits- und Therapieberufen weitere Schritte zu gehen. Der Studiengang Pflegewissenschaft an der Bremer Universität soll ausgebaut werden, damit für Bremens Pflegeschulen ausreichend Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Außerdem braucht Bremen die Wiederaufnahme des Studiengangs Pflegemanagement, um auch auf Leitungsebene künftig ausreichend hochqualifiziertes Personal zu haben.

b) Pandemie oder Klimawandel - Die Bedeutung der Forschung wächst

Der Bremer Wissenschaftsstandort schafft und sichert aktuell direkt und indirekt etwa 24.000 Arbeitsplätze. Allen Hochschulen des Landes Bremen kommt bei der Fachkräftequalifizierung und bei der Gestaltung von Wegen auf den Arbeitsmarkt für Absolvent*innen eine hohe Bedeutung zu. Die aktuelle europäische Schwerpunktsetzung bietet die Chance, die Forschungsbereiche Umweltwissenschaften, Materialwissenschaften sowie Kognition und Robotik zu Forschungs- und Transferschwerpunkten (FTS) weiterzuentwickeln.

Der von der EU fokussierte Bereich der Künstlichen Intelligenz ist in Bremen bereits eine der wesentlichen Schlüsseltechnologien. Die Bremer KI-basierte Robotik ist mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten in Deutschland einzigartig und daher geeignet, gemeinsam von Wissenschaft und Wirtschaft ausgebaut zu werden. Die hier erwartbaren Transferleistungen in die Wirtschaft sind von enorm hoher Bedeutung. Hierfür erwarten wir schnell die Erarbeitung einer ressortübergreifenden Dachstrategie zur Stärkung des KI-Standorts Bremen.

c) Digitale Transformation von Arbeitsplätzen begleiten

Die Erfahrungen der letzten Wochen und Monate werden die bisher bekannten Arbeitswelten künftig massiv verändern. Die Akzeptanz für Homeoffice oder Videokonferenz-Meetings wird steigen, Konsument*innen werden digitale Angebote künftig noch stärker nachfragen. Die Anforderungen zur Entwicklung und Nutzung digitaler Technologien in Unternehmen und der Verwaltung werden deutlich zunehmen. Jetzt bietet sich die Gelegenheit, mit einer neuen Digitalisierungsoffensive die ohnehin notwendigen Anpassungen beschleunigt umzusetzen. Wir wollen daher diejenigen Unternehmen im Land Bremen unterstützen, die jetzt in die Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze investieren wollen. Wir werden prüfen, inwieweit der niedersächsische Digitalisierungsbonus für solche Investitionen auch in Bremen und Bremerhaven Anreize schaffen kann. Nicht zuletzt ist jetzt der richtige Zeitpunkt, die Mitarbeiter*innen und Mitarbeiter fit für die digitale Zukunft zu machen. Ein umfassendes Aus- und Weiterbildungsprogramm für digitale Technologien bietet sich – gerade in Zeiten von Kurzarbeit und Homeoffice – geradezu an. 

d) EU-Strukturfonds intensiver für Beschäftigungsmaßnahmen nutzen

Wie bisher werden wir mit Hilfe der EU-Strukturfonds, insbesondere des ESF, Beschäftigungsmaßnahmen realisieren, die die Integration von verschiedenen Zielgruppen in den Arbeitsmarkt zum Ziel haben. Offen bleibt derzeit die Frage, ob wir mit einer Kürzung der Mittel konfrontiert werden. Wir werden darauf drängen, dass wir alle beschäftigungspolitischen Maßnahmen erhalten können. Notfalls wollen wir die auftretenden Finanzlücken durch Landesmittel aufstocken.

 

2. Bundesregierung muss Arbeitsplätze zukunftsfähig machen

Die Konjunkturhilfen des Bundes schützen zu einem hohen Maße große Industriezweige und sichern damit Facharbeiter*innen-Arbeitsplätze. Davon werden in Bremen die Beschäftigten in der Automobil-, Logistik- oder Baubranche profitieren. Wir begrüßen alle Konjunkturhilfen, die die ökologische Transformation dieser Branchen im Blick haben und somit wirklich nachhaltige Arbeitsplätze für die Zukunft in Bremen und Bremerhaven schaffen. Für uns müssen alle staatlichen Hilfen für Unternehmen an notwendige ökologische Kriterien geknüpft sein. Veraltete klimaschädliche Produktionsmethoden und die Herstellung klimaschädlicher Produkte mit öffentlichen Finanzmitteln zu finanzieren, die nachkommende Generationen noch abzuzahlen haben, ist im Sinne einer Generationengerechtigkeit nicht verantwortbar. Für Bremens Exportorientierung, den daran hängenden Außenhandel und die Logistikbranche ist es unabdingbar, dass die Bundesregierung sich jetzt für eine schnellstmögliche und vollständige Wiederherstellung der vier Grundfreiheiten auf dem EU-Binnenmarkt einsetzt. Die Liefer- und Warenverkehre müssen grenzüberschreitend, unter Wahrung klarer Hygienevorschriften, ebenso reibungslos funktionieren wie Personenreiseverkehre. Der europäische Binnenmarkt ist der wichtigste Markt für die bremische Wirtschaft. Die Bunderegierung ist ebenso in der Pflicht, Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland für alle Arbeitnehmer*innen gut und gerecht auszugestalten. Die ausbeuterischen Strukturen, unter denen EU-Arbeitnehmer*innen vor allem in der Fleischindustrie aber auch in der Logistik- und Baubranche arbeiten und leben, müssen jetzt ein Ende haben. Wir werden uns daher auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Praxis der Werkverträge und Sub-Sub-Unternehmen unverzüglich unterbunden wird. In Bremen werden wir alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um ausbeuterische Arbeitsstrukturen zu unterbinden und die Rechte von EU-Arbeitnehmer*innen zu schützen.

 

3. Landeskompetenzen nutzen, um „vergessene“ Branchen zu stützen – Bremer Rettungsschirm für Sozialunternehmen und Dienstleister 

Aktuell stehen nicht wenige Akteure der Sozialwirtschaft und der Zivilgesellschaft extrem unter Druck, denn sowohl Sozialunternehmen als auch Sozialdienstleister blieben bislang weitestgehend außen vor bei den unbürokratischen Soforthilfen des Bundes und der Landesregierung. Da Sozialunternehmen oft gemeinnützig sind, ist ihnen der Zugang bisher zu den Sofort- und Schnellkrediten der KfW nicht möglich. Auch bei den Corona-Soforthilfen gingen sie leer aus. Das aktuelle Konjunkturprogramm öffnet die KfW-Kredite auch für gemeinnützige Unternehmen für eine Haftungsfreistellung von max. 80 Prozent. Wir wollen mit Mitteln aus dem Bremen-Fonds die Lücke zur 100-prozentigen Haftungsfreistellung schließen. 

Dem Erhalt der sozialen Infrastruktur dient das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG). Die Leistungsträger werden verpflichtet, den Bestand der Einrichtungen, sozialen Dienste, Leistungserbringer und Maßnahmenträger zu gewährleisten, bekommen aber Zuschüsse lediglich in Höhe von 75 % ihrer Kosten. 

Ohne weitere Gegenmaßnahmen werden eine Vielzahl von sozialen Einrichtungen und Diensten und damit ein großer Teil sozial- und arbeitsmarktpolitischer Infrastruktur die Corona- Krise nicht oder nur schwer beschädigt überstehen. Damit die sozialen Dienstleister in allen Arbeitsfeldern auf Dauer erhalten bleiben, setzen wir uns für ein Landesprogramm ein, das mit Mitteln aus dem Bremen-Fonds diese Defizite abfedert. 

 

4. Mit Ausbildung und Qualifizierung in die Zukunft

Das Land Bremen hat bereits seit längerer Zeit eine sehr hohe Anzahl von jungen Menschen ohne berufliche Ausbildung. Die Corona-Krise scheint diesen Umstand, der zu Lasten der jungen Menschen in Bremen und Bremerhaven geht, noch weiter zu verschärfen. Wir müssen daher zügig sicherstellen, dass die Betriebe ihre Ausbildungszahlen weiter ausbauen können. Das Land Bremen hat in den letzten Jahren bereits hilfreiche Instrumente wie die Ausbildungsgarantie geschaffen, um fehlende Ausbildungsplätze auszugleichen. Gemeinsam mit den am ‚Runden Tisch – Ausbildung‘ beteiligten Akteuren wollen wir die Ausweitung der bewährten Instrumente prüfen. Unser Ziel dabei ist es vor allem, Ausbildungsangebote in zukunftsträchtigen Ausbildungsberufen zu fördern.  Wir wollen darüber hinaus prüfen, inwieweit das österreichische Modell des Fachkräftestipendiums für Bremen und Bremerhaven sinnvoll sein könnte. Hierüber könnten Ausbildungen und Weiterqualifizierungen in zukunftsträchtigen Mangelberufen, wie in der Gebäudetechnik, Solaranlagenmontage oder Heizungsinstallation speziell gefördert werden.

 

5. ‚Re-Traditionalisierungsfalle‘ vermeiden – Zeit für einen Wandel der Arbeit

Der pandemiebedingte Shut-Down führte bei einem Großteil der Menschen nicht etwa zu Entschleunigung, sondern vor allem bei Frauen zu einer besonders hohen Verdichtung: Homeoffice, Kinderbetreuung, Homeschooling, Pflege von Angehörigen. Der Shut-Down führte besonders schmerzlich vor Augen, dass wir unser Arbeitsleben noch immer geschlechterbasiert nach den Maßstäben der 60er- und 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts ausrichten. Bisher sorgt das Zusammenspiel von althergebrachter Rollenverteilung, Minijobs, Ehegattensplitting, beitragsfreier Mitversicherung und nicht bedarfsgerechter Kinderbetreuung dafür, dass es immer noch viel zu oft die Frauen sind, die erziehende und pflegende Tätigkeiten zu Lasten ihrer eigenen Existenzsicherung übernehmen. Eine moderne Arbeitszeitpolitik ermöglicht Frauen, ihre Erwerbstätigkeit auszuweiten und Männern, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Wir brauchen eine Arbeitszeitkultur, die zum Familienleben im 21. Jahrhundert passt. Hierzu gehören u.a. die Einführung einer flexiblen Vollzeit, die Möglichkeit der flexiblen Arbeitszeitgestaltung, ein Recht auf Homeoffice und dringend der Ausbau bedarfsgerechter und flexibler Kinderbetreuungseinrichtungen.

Bremen, den 12. Juni 2020