Gleichstellung
Alleinerziehende in Bremen: Service bündeln und Perspektiven verbessern
Das in (West-)Deutschland traditionelle, sehr lange vorherrschende Familienmodell - mit einem alleinverdienenden Vater und der maximal zuverdienenden Mutter - lebt heute bundesweit nur noch eine Minderheit von 17 Prozent der Familien. Obwohl also alles andere als eine unübliche Familienform, gelten Alleinerziehende noch immer als Problemgruppe: Rund 1,6 Millionen von ihnen gibt es in Deutschland. Fast die Hälfte ist auf staatliche Unterstützung angewiesen. Obwohl es schon längst kein gesellschaftlicher Makel mehr ist, alleinerziehend zu sein, ist das damit einhergehende Armutsrisiko noch immer groß.
Im Land Bremen leben aktuell ca. 18.000 Alleinerziehende. Viele bekommen ihren Alltag aus Berufstätigkeit und Verantwortung für die Kinder gut organisiert, insbesondere gelingt dies, wenn sie Unterstützung durch die Väter der Kinder bekommen (ca. 15% leben das „Wechselmodell“ bundesweit). Die Daten der Bundesagentur für Arbeit sowie die Studie der Arbeitnehmerkammer zeigen aber auch: mehr als die Hälfte aller Bremer Alleinerziehenden sind zur Sicherung ihrer Existenz auf Grundsicherungsleistungen gänzlich oder ergänzend angewiesen, die Hilfequote beträgt 53,6 Prozent. Besonders alarmierend sind die hohen Quoten bei denjenigen, die zusätzlich zu ihrer Erwerbstätigkeit ergänzende Hilfen in Anspruch nehmen müssen, und bei denjenigen, die über keinen Schul- oder Berufsabschluss verfügen. Insbesondere die letzte Gruppe ist aktuell von dauerhaftem Leistungsbezug und damit von Armut für sich und die Kinder bedroht.
Erwerbssituation Alleinerziehender in Bremen
18.000 Alleinerziehende
11.000 erwerbstätig 4.100 in Vollzeit 205 trotzdem in Grundsicherung
6.900 in Teilzeit 1.358 trotzdem in Grundsicherung
3.746 erwerbslos
659 ohne Schulabschluss
2.592 ohne Berufsabschluss
3.563 ALG II
182 ALG I
Alleinerziehende im Leistungsbezug
2.856 alleinerziehende Erwerbstätige im ALG-Bezug
1.358 in Teilzeitbeschäftigung
1.045 in geringfügiger Beschäftigung
205 in Vollzeitbeschäftigung
185 Selbstständige
Bremen hat – diese dramatische Lage anerkennend – deshalb notwendige Modellprojekte für Alleinerziehende aufgelegt. Hierbei geht es vor allem darum wichtige lokale Netzwerke für Alleinerziehende auf- und auszubauen; Ausbildung, Qualifizierung und Vermittlung in Beschäftigung sowie bedarfsgerechte Kinderbetreuung und Unterstützungsangebote zu schaffen. Über diese modellhaften Angebote hinaus braucht es aber strukturelle Verbesserung für die bessere Vereinbarkeit von Arbeits-, Familien- und Betreuungszeiten für Alleinerziehende. Der Einstieg in die finanzielle Unabhängigkeit ist abhängig von den geleisteten Unterhaltszahlungen, vom Angebot an flexiblen Arbeitszeiten, guten Erreichbarkeiten der Arbeitsstätte und dem Angebot an bedarfsdeckenden flexiblen Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Ausbildung und Qualifizierung
Besonders auffällig sind im Land Bremen die hohen Quoten von Alleinerziehenden ohne Schul- bzw. Berufsabschluss. 17,6 Prozent der alleinerziehenden Arbeitslosen können keinen Schulabschluss nachweisen und gar 69,2 Prozent bleiben ohne Beruf. Damit ist der Einstieg in den Arbeitsmarkt und die Chance auf finanzielle Unabhängigkeit fast aussichtslos. In Bremen betrifft dies laut Arbeitnehmerkammer ungefähr 2.600 alleinerziehende Mütter und Väter. Die Qualifizierung dieser Zielgruppe ist für die Bremer Bildungslandschaft und das Jobcenter eine besondere Herausforderung, der bisher weitgehend mit Modellprojekten begegnet wird. Ausgehend von der Annahme, dass die Anzahl an Alleinerziehenden in Bremen nicht abnehmen wird, müssen in Bremen regelhafte Teilzeit-Qualifzierungs- und Ausbildungsangebote geschaffen werden. Aus der Teilzeitausbildung für Erzieher/innen ist bekannt, dass Teilzeit-BewerberInnen nicht vom Vollzeit-Regelangebot abgezogen werden, da diese Schülerinnen und Schüler aufgrund beruflicher und familiärer Bedingungen kein Vollzeitangebot hätten annehmen können. 90% der aktuellen Teilzeit-SchülerInnen hätten keine Vollzeitausbildung zur Erzieherin / zum Erzieher machen können. Der Ausbau von Teilzeit-Ausbildungen – sowohl in der schulischen wie in der dualen Ausbildung – ist für uns daher eine zwingende Voraussetzung, um frühzeitig der drohenden Armutsspirale für Alleinerziehende zu begegnen.
Diskriminierender Arbeitsmarkt
Im Land Bremen ist generell die Frauenerwerbsquote mit 63,3 Prozent leider traditionell geringer als im Bundesdurchschnitt. Dies trifft auch auf die erwerbstätigen Alleinerziehenden zu. Von den etwa 18.000 Alleinerziehenden in den Städten Bremen und Bremerhaven sind 11.000 erwerbstätig, die Hälfte arbeitet in Teilzeit. Ein Großteil bezieht trotz Erwerbstätigkeit ergänzende Leistungen nach dem SGB II. Diese Personen haben also ein so geringes Erwerbseinkommen, dass sie sich selbst und ihre Kinder davon allein nicht versorgen können. 205 Personen erhalten trotz Vollzeit-Berufstätigkeit ergänzende Leistungen, hier werden in besonderer Weise die diskriminierenden Strukturen des Arbeitsmarktes deutlich. In vielen Berufen bzw. Tätigkeiten gelingt es Alleinerziehenden wegen der geringen Löhne nicht, trotz Vollzeittätigkeit das existentielle Minimum für ihre Familie zu erwirtschaften. In der Folge führt dies zur vorprogrammierten Altersarmut dieser Frauen. In Teilzeitbeschäftigung steigt das Risiko, nicht genügend für den Familienunterhalt zu verdienen. 81 Prozent der teilzeitbeschäftigten Alleinerziehenden gaben 2015 persönliche oder familiäre Verpflichtungen als Hauptgrund für die Arbeit in Teilzeit an.
Ein Blick in Gehaltstabellen zeigt, dass Alleinerziehende mit Berufsausbildung bereits Schwierigkeiten haben, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Insbesondere wenn der Beruf in Teilzeit ausgeübt wird, reicht das Einkommen zur existenziellen Sicherung der Familie oft nicht mehr aus. In vielen Berufen ist eine zwingende Voraussetzung für eine Vollzeittätigkeit allerdings eine passgenaue Kinderbetreuung. In der beigefügten Tabelle sind allein 6 von 9 Berufen geprägt durch Schichtarbeit, wer hier keine Unterstützung erhält, gerät in die armutsgefährdende Teilzeitfalle. Die Lage spitzt sich bei Alleinerziehenden, die über keinen Berufsabschluss verfügen, entsprechend zu. Wir Grüne setzen uns deshalb weiterhin für die Kindergrundsicherung, für die Überarbeitung der Tarifgruppen in vermeintlich typischen Frauenberufen, den Abbau des Gender Pay Gap, das Rückkehrkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit für Mütter und für die Mindestrente ein. Insbesondere in den Branchen mit einem hohen Anteil an weiblichen Beschäftigten wie dem Gastgewerbe oder dem Einzelhandel, aber auch in innovativen Wirtschaftszweigen wie den IT-Dienst¬leistungen ist bisher die Tarifbindung weit unterdurchschnittlich. Die Grünen-Fraktion setzt sich daher weiterhin für Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge ein, dies wäre ein wirksamer Schritt zur nachhaltigen Stärkung des Tarifvertragssystems.
Für den Bremer Arbeitsmarkt brauchen wir dringend mehr Anstrengungen, um die strukturellen Diskriminierungen für Frauen abzubauen. Hierzu gehört:
1. Die Reduzierung von Minijobs im Dienstleistungsbereich und Eindämmung von Niedriglohnsektoren.
2. Die stärkere Förderung von flexiblen familienfreundlichen Arbeitszeitmodellen und –maßnahmen.
3. Die Förderung von Konzepten für eine „kurze Vollzeit“ (vollzeitnahe Beschäftigung) von 32-35 Wochenstunden.
4. Eine familienpolitische Strategie für die bremische Arbeitsmarktpolitik, in der insbesondere die Lebensrealitäten von Alleinerziehenden berücksichtigt werden.
Gretchenfrage: flexible Kinderbetreuung
Alleinerziehende in einer Großstadt müssen in der Regel ohne familiäre Unterstützungssysteme auskommen. Grundlage einer Erwerbstätigkeit ist daher eine verlässliche und flexible – an den tatsächlichen Bedarf angepasste – Kinderbetreuung. Das Modellprojekt des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter ermittelte einen durchschnittlichen Mehrbedarf an öffentlicher Betreuung von ca. 10 Stunden pro Woche.
Hier gibt es in Bremen einen enormen Nachholbedarf, denn die Regelbetreuung von 8 bis 16 Uhr in den öffentlichen Kitas hat mit den regelhaften Arbeitszeiten eines Großteils der Beschäftigten in Bremen wenig zu tun. Es braucht daher dringend ein zukunftsfähiges Konzept für bedarfsgerechte Betreuungszeiten und den Ausbau flexibler Kinderbetreuungsangebote, insbesondere zu Ferienzeiten, Wochenenden, zu Randzeiten oder als Notfallbetreuung; damit Mütter und Väter mit Berufen z.B. im Pflege- und Erziehungsbereich, im Einzelhandel und in der Gastronomie, mit Schichtdiensten oder während Qualifizierungsmaßnahmen Familie und Beruf vereinbaren können.
Viele Unternehmen in Bremen machen es vor, hier sind Betreuungskonzepte flexibel an die Arbeitsbedingungen angepasst: Die Mercedes-Benz-Niederlassung in Bremen unterhält eine unternehmensinterne Kinderkrippe in direkter Nachbarschaft zum Arbeitsplatz, in der die Mitarbeitenden ihre Kinder bereits ab einem Alter von 8 Wochen in vertrauensvolle Hände geben können. Das Klinikum Bremen Mitte und die Polizei Bremen eröffneten gemeinsam die „Arche Kunterbunt gGmbH“, hier liegen die Betreuungszeiten je nach aktuellem Bedarf zwischen 6:00 und 21:30 Uhr. Die Einrichtung betriebsnaher Kinderbetreuungseinrichtungen wollen wir weiter fördern.
Diese Beispiele zeigen, dass der Bedarf besteht. Auch die vielfältigen Angebote an flexiblen Betreuungseinrichtungen in anderen Bundesländern sowie die Ergebnisse der Befragungen von Alleinerziehenden deuten auf einen spezifischen Bedarf auch für Bremen hin. Die Erfahrungen in Berlin, NRW und Rheinland-Pfalz zeigen, dass die Verfügbarkeit von flexibler Kinderbetreuung einen direkten Effekt auf den Verzicht auf Grundsicherungsleistungen hat (vgl. Graphiken).
Bremen hat sich entschieden modellhaft flexible Kinderbetreuungsmöglichkeiten anzubieten und eine Elternbefragung zum Bedarf durchführen. Wir fordern darüber hinaus:
1. Die Integration von Randzeitenbetreuung in die Planungen zum weiteren Kita-Ausbau mit dem Ziel, über die Regelbetreuung hinaus auch flexible Kinderbetreuungseinrichtungen bedarfsdeckend vorzuhalten.
2. Den Ausbau kreativer Lücken-Betreuungsangebote, wie Hol- und Bring-Dienste nach dem Berliner Modell.
3. Die Einführung des Gutscheinmodells nach dem Hamburger Vorbild, um mehr vielfältige Angebote zu ermöglichen.
4. Ein regelmäßiges Familien-Monitoring mit Elternbefragungen zu Bedarf und Ausgestaltung der Kinderbetreuungsmöglichkeiten und Analysen der Erwerbstätigenquote von Müttern und Vätern (nicht nur Männer und Frauen) hinsichtlich ihres Erwerbsumfangs in Teilzeit und Vollzeit und ihres Einkommens.
Unterhaltsunterschlagung ist kein „Kavaliers“delikt
Bundesweit erhalten etwa 72 Prozent der Alleinerziehenden keine oder nur unvollständige Unterhaltszahlungen vom unterhaltspflichtigen Elternteil, in Bremen ist die Situation nicht besser. Laut der Befragung der Arbeitnehmerkammer unter Alleinerziehenden in Bremen erhalten 72% keinen Kindesunterhalt vom unterhaltspflichtigen Elternteil (zumeist Väter), nur die Hälfte bekommen den staatlichen Unterhaltsvorschuss und lediglich 10% der Befragten erhalten Unterstützung (finanziell wie in der Betreuung) durch die Väter. Die fehlenden Unterhaltszahlungen bedeuten für die Alleinerziehenden: Ämtergänge, Beantragungsstress, Gerichtsverfahren und oft SGB II-Bezug. Für Bremen insbesondere problematisch ist auch die Tatsache, dass nur 11% der geleisteten Unterhaltsvorschüsse zurück in die öffentliche Kasse fließen. Noch immer gilt es als „Kavaliersdelikt“, wenn Kinder (mehrheitlich) von ihren Vätern im Stich gelassen werden und diese sich jeder erzieherischen und finanziellen Verantwortung für ihren Nachwuchs entziehen. Alleinerziehende brauchen dringend mehr wirksame Unterstützung bei der Durchsetzung des Rechts auf Unterhalt, deshalb unterstützen wir die Forderungen der Arbeitnehmerkammer und setzen uns ein für:
1. Nachhaltige Ursachenforschung für nicht gezahlten Unterhalt.
2. Wirksame Sanktionsmöglichkeiten gegenüber säumigen Unterhaltspflichtigen und Möglichkeiten, geschuldete Zahlungen erfolgreich geltend zu machen.
3. Verbesserung der personellen Ausstattung der Familienhilfe, um die Ansprüche auf Unterhalt bei säumigen Zahlern und Zahlerinnen durchzusetzen.
Zumutung Behördenwirrwarr
Alleinerziehende haben besonders häufig mit Behörden und Diensten zu tun. Dies hat zwei Gründe: Alleinerziehende sind zum einen überproportional von Armut betroffen, zum anderen zieht der Status „alleinerziehend“ an sich Verfahren mit Behörden nach sich. Auf dieser Ebene liegen besonders viele Hürden für Alleinerziehende vor – zum Beispiel die gesetzlich vorgeschriebene Genehmigung von Unterhaltsbeiträgen oder die Ausgestaltung von Besuchsrechtsregelungen. Solche Verfahren können gerade erst die Ursache sozialer und auch finanzieller Probleme für Einelternfamilien bilden, weil das juristische Basiswissen fehlt – nicht nur bei den Alleinerziehenden, sondern auch bei den Behörden selbst. Nicht zuletzt die unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen bei Unterhaltszuschuss, Wohngeld, ALG etc. und die dazugehörigen diversen Anlaufstellen sind gravierende zeitraubende Hürden für viele Einelternfamilien. Hier wollen wir die Möglichkeiten der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung zugunsten der Dienstleistungen für Alleinerziehende verstärkt nutzen.
Wir fordern daher dezentrale an den Quartiersbildungszentren (QBZ) angebundene Stadtteil-Anlaufstellen für Alleinerziehende, in denen alle Informations-, Dienstleistungs- und Finanzleistungen gebündelt werden, insbesondere in Gröpelingen, Kattenturm, Lüssum-Bockhorn, Burgdamm, Ellenerbrok-Schevemoor, Tenever, Mittelshuchting, Hemelingen, Neue Vahr Nord, Woltmershausen, Ohlenhof und Blumenthal.
Familienorientierte Stadtplanung
Viele deutsche Städte richten ihre städtebaulichen Vorhaben inzwischen nach familienfreundlichen Leitlinien aus. Davon profitieren insbesondere Alleinerziehende, die alle Wegeverbindungen (Wohnung/ Kita/ Schule/ Arbeitsplatz/ Behörde/ Arzt etc.) allein bewältigen müssen. Eine gute Ausstattung der Wohngebiete mit wohnungsbezogener Infrastruktur wie beispielsweise Einzelhandel, Gesundheitsversorgung, Kindertageseinrichtungen und Schulen ist deshalb notwendig. In Bremen werden diese Fragen bei Neu- und Umbauten bereits berücksichtigt, wir wollen unsere Anstrengungen in diesem Bereich noch weiter verbessern.
Perspektivenwechsel
Einelternfamilien werden in der Öffentlichkeit meist als Problemgruppe dargestellt. Und auch heute noch werden – im Gegensatz zur Zweielternfamilie – ihre Probleme gerne auf die Familienform und nicht auf die Lebensumstände zurückgeführt. Die enorme Leistung und die besonderen Qualifikationen der alleinerziehenden Eltern sind hingegen kaum ein Thema. Höchste Zeit, die Leistungen von Alleinerziehenden anzuerkennen. Wir wollen als öffentliches Zeichen der Anerkennung die Auszeichnung für die Alleinerziehende(n) des Jahres einführen, denn eine Mutter, die trotz der vorhandenen Hürden das Auskommen ihrer Familie sichert, hat Applaus verdient. Der 15. Mai ist als Internationaler Tag der Familie das geeignete Datum für eine jährliche Verleihung, um deutlich zu zeigen, dass es genau das in jeder Form zu würdigen gilt: die Übernahme von Verantwortung für Kinder.