Antrag „Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei behaupten und stärken“
Antrag „Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei behaupten und stärken“
Die politischen Entwicklungen in der Türkei nach dem zurückgeschlagenen Putschversuch von Teilen des türkischen Militärs am 15. Juli 2016 beobachten wir mit der Sorge, dass die Türkei den Weg in ein totalitäres Regime einschlägt: Massenentlassungen, Verhaftungen oder Einschränkungen der Freizügigkeit, insbesondere von öffentlichen Bediensteten, Diskussionen um die Wiedereinführung der Todesstrafe, Schließungen von Medien, Schulen und Hochschulen sowie eine damit verbundene denunzierende und propagandistisch gefärbte Sprache – das entspricht nicht den Prinzipien der Menschenrechte und unserem Verständnis von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit. Ein breites Bündnis von Fraktionen in der Bremischen Bürgerschaft hat deshalb diesen Entschließungsantrag eingebracht, an dem unsere europapolitische Sprecherin Henrike Müller mitgearbeitet hat. Hierin drückt die Bürgerschaft ihre Trauer um die Opfer des Putschversuches aus, den sie als unrechtmäßig bezeichnet. Im Weiteren fordert sie von der Türkei die Einhaltung der Menschenrechte ein, lehnt eine Wiedereinführung der Todesstrafe ab und pocht auf die Grundsätze von Demokratie und Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit. Zugleich jedoch hält die Bürgerschaft eine politische Isolierung der Türkei für falsch, die eher der Bevölkerung schaden würde. In der Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) am 24. August 2016 wurde der Antrag beschlossen.Henrike Müller nahm in ihrem Beitrag vor allem Bezug auf das Verhältnis der EU zur Türkei: die Forderungen vom sofortigen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen und der sofortigen Kündigung des Türkei-EU-Abkommens. Wem wäre bei einem offiziellen Ausstieg aus den Beitrittsverhandlungen geholfen? Den europafreundlichen Oppositionellen, den Lehrern und den Wissenschaftlern in der Türkei jedenfalls nicht. Es wäre lediglich Wasser auf die Mühlen des Präsidenten, der weiterhin behaupten könnte, dass der Westen die Türkei am Gängelband hält, Verträge nicht erfüllt und kein verlässlicher Partner ist. Es kann nicht in unserem Interesse sein, ihm diesen Gefallen zu tun. Im Gegenteil: Wir müssen die Verhandlungen intensivieren, zu den 17 bereits geöffneten Kapiteln weitere hinzufügen. Nur so ist die Türkei in der Beweispflicht bei der Übernahme des aquis communitaire und des europäischen Grundrechtefundaments. Und:Nnur so ist gewährleistet, dass weiterhin EU-VertreterInnen sich vor Ort ein Bild über die aktuelle Situation an den türkischen Gerichten und in den Gefängnissen machen und in den jährlichen Fortschrittsberichten dokumentieren können. Wer sich also für die Menschen- und Bürgerrechte in der Türkei stark machen möchte, muss sich gerade jetzt für die Intensivierung der Beitrittsverhandlungen aussprechen! Das bedeutet natürlich nicht, dass die Türkei im nächsten Jahr der EU beitreten könne, wahrscheinlich auch nicht im Jahr 2023, wie von türkischen Regierungsmitgliedern gewünscht. Aber wir müssen doch den noch vorhandenen Wunsch der Türkei, Teil der Europäischen Rechtsgemeinschaft zu werden, nutzen, das ist ein Pfund, mit dem wir auf dem Verhandlungsparkett wuchern können.Wem wäre bei einem sofortigen Stopp des EU-Türkei-Abkommens geholfen? Den Flüchtlingen jedenfalls nicht! Allein denjenigen, die für die sogenannte australische Lösung – also eine menschenrechtswidrige harte Abschottungspolitik – werben, wäre der Stopp dienlich. Die grüne Fraktion teilt viele Kritikpunkte an dem Abkommen und auch an der mangelnden Umsetzung von europäischer Seite. Aber: Wir haben noch immer kein europäisch-solidarisches Asylsystem, die Situation vom letzten Sommer inklusive Zäune, Gewalt und Leid würde sich mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederholen. Dieses Szenario kann nicht in unserem Interesse sein. Im Gegenteil: Wir müssen streiten dafür, dass (auch) die EU ihren Teil des Abkommens endlich erfüllt, also mehr Geld für die Versorgung der Geflüchteten freigibt und endlich Flüchtende aufnimmt und in Europa ansiedelt. Das EU-Türkei-Abkommen ist bei weitem nicht perfekt und wird aus guten Gründen stark kritisiert. Aber der Ausstieg ohne eine echte europäische Alternative zum Schutz der Flüchtenden wäre die schlechteste Lösung.Der Antrag vom 22. August 2016, Drucksache 19/701